Die Invasion - 5
zweifellos mit Gewehren ausgestattet gewesen sein mussten. Dafür gab es vor allem zwei Gründe: Zum einen befand er sich weit hinter den vordersten Reihen, weshalb es ihm schwerfiel abzuschätzen, über welche Entfernungen hinweg die Schüsse gefallen sein mussten. Zweitens hatte er keine Ahnung, wie tödlich-präzise dort tatsächlich gefeuert worden war.
Gahrvai schürzte die Lippen, als er sah, dass seine gesamte Formation zum Stehen kam, auch wenn der Halt nur kurz war. Die Reihen wurden neu ausgerichtet; die Truppen versuchten sich neu zu organisieren, um den Verlust so vieler ihrer Führungskräfte auszugleichen. Weil Gahrvai nicht wusste, wie viele Offiziere und Unteroffiziere gerade eben ausgeschaltet worden waren, verstand er nicht, wie es zu dieser Pause kommen konnte. Ein paar Musketenkugeln konnten doch unmöglich ausreichen, um eine Schlachtreihe von mehr als zwei Meilen Breite ins Stocken geraten zu lassen!
Die Pause dauerte zwar nicht lange. Aber selbst Kleinigkeiten konnten sich auf dem Schlachtfeld zu einer alles vernichtenden Lawine auswachsen. Sir Koryn ertappte sich dabei, wie er sich weiter über das Geländer beugte, als wolle er mit reiner Willenskraft die Reihen und Blöcke seiner Männer dazu bringen, sich wieder in Bewegung zu setzen. Kostbare, unersetzliche Sekunden verstrichen, wurden zu noch kostbareren Minuten, und immer noch standen die Reihen an Ort und Stelle. Es sah aus, als warte die linke Flanke auf die rechte, und Gahrvai knirschte frustriert mit den Zähnen.
Sir Zher Sumyrs, seines Zeichens Baron Barcor, hatte das Kommando über die linke Flanke inne. Er war zugleich der älteste von Gahrvais leitenden Offizieren. Sumyrs war schon seit fast dreißig Jahren Soldat. In diesen drei Jahrzehnten hatte er allerdings herzlich wenig echte Gefechte miterlebt. Er war vor allem gegen Briganten vorgegangen - von einigen Angriffen abgesehen, die er gegen rebellische Zebediahner geführt hatte. Er hatte eindeutig die Neigung, streng nach Vorschrift vorzugehen. Schlimmer noch: Er hielt sich immer noch an die alten Vorschriften. Es fiel ihm schwerer als den meisten anderen, sich an die neuen Konzepte zu gewöhnen, die Gahrvai und dessen Vater eingeführt hatten. Aber seine tief verwurzelte Position in der Kommandostruktur der Armee und ebenso in der politischen Welt von Corisande hatten Gahrvai davon abgehalten, Baron Barcor in Ruhestand zu schicken.
Im Augenblick hätte Gahrvai ihn liebend gern an Ort und Stelle erschossen - und auf die politischen Konsequenzen hätte er gepfiffen! In sämtlichen Befehlen, die er vor Beginn dieser Schlacht ausgegeben hatte, war er immer wieder mit Nachdruck darauf eingegangen, wie unerlässlich es sei, die Charisianer so rasch wie nur möglich in den Griff zu bekommen. Koordination war natürlich eine feine Sache, und Verwirrung galt es unter allen Umständen zu vermeiden. Aber das Wichtigste war, den Angriff so rasch wie möglich durchzuführen, und Barcors rechte Flanke war bestens durch Doyals massive Artillerie gedeckt. Er brauchte sich nicht perfekt nach den Truppen unter dem Kommando des Grafen Mancora zu Gahrvais Rechten auszurichten! Und jemand, der so viel Erfahrung hatte, wie Barcor für sich reklamierte, müsste doch verdammt noch mal wissen, welch entsetzliche Konsequenzen es haben konnte, wenn eine Schlachtreihe an Schwung verlor! Hektor Bahnyr, seines Zeichens Graf Mancora, war nur halb so alt wie Barcor, und seine Karriere beim Militär währte bislang weniger als halb so lang. Doch Mancora hätte sich niemals einen Fehler wie den erlaubt, den Barcor hier gerade beging.
Aber das ist doch bloß eine Pause, Koryn!, mahnte er sich. Jede Flanke besteht aus fünftausend Mann. Das muss mehr sein, als die Charisianer überhaupt haben! Selbst wenn Barcor hier völligen Mist baut, müsste Mancora die Sache doch auch allein in den Griffbekommen!
Das sagte er sich mit so viel Selbstvertrauen, wie er nur konnte. Dann flog Gahrvais Blick nach rechts, als Artilleriefeuer aufdröhnte.
Bei Langhorne! Ich hätte nicht damit gerechnet, dass die so weit draußen stehen bleiben würden!
Sir Charlz Doyal verzog bestürzt das Gesicht, als die charisianischen Artilleristen plötzlich stehen blieben und sich daranmachten, ihre Geschütze einsatzbereit zu machen.
Doyal hatte es sich in den Zweigen einer Fasteiche leidlich bequem gemacht und den Aufmarsch der Artilleristen durch sein Fernglas beobachtet. Dabei hatte er aufrichtigen Neid verspürt. Die
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