Die Invasion - 5
ganz gewiss nicht in der Nähe des Großinquisitors sein. Offensichtlich hatte auch er die Warnzeichen in Trynairs Miene erkannte.
Natürlich! Nur einem Blinden hätte das entgehen können, dachte der Großinquisitor trocken.
»Was verschafft mir die Ehre?«, fragte er. Denn es erschien ihm wenig sinnvoll, sich hier in höflichen Nichtigkeiten zu ergehen.
»Das hier, Zhaspahr.« Trynair griff in die Brusttasche seiner orangefarbenen Soutane und zog ein Bündel Papiere hervor.
»Und was genau ist ›das‹?« Clyntahns Stimme wurde deutlich brüsker, als sein eigener Ärger ob des unverkennbaren Zorns seines Gegenübers ebenfalls zunahm. Dieser Zorn schien sich unmittelbar gegen Clyntahn selbst zu richten. Der Großinquisitor war es nicht gewohnt, es mit jemandem zu tun zu haben, der den Mut - oder die Dummheit - besaß, sich anmerken zu lassen, dass Clyntahn ihn wütend gemacht hatte. Der Großinquisitor kam zu dem Schluss, dass er auf diese Erfahrung auch bestens hätte verzichten können.
»Das ist eine Semaphoren-Nachricht, Zhaspahr. Eine Nachricht von König Zhames in Talkyra. Oder genauer gesagt: eine Nachricht von Bischof-Vollstrecker Frayd, gerichtet an König Zhames.«
Einen derartigen Tonfall hatte Clyntahn bei Zahmsyn Trynair noch nie erlebt. Die Stimme des Kanzlers klang wie gehämmertes Metall, und der Zorn loderte jetzt unübersehbar in seinen Augen.
»Offensichtlich hat irgendetwas Sie erregt«, sagte Clyntahn und bemühte sich nach Kräften, seine eigene Stimme deutlich gelassener klingen zu lassen. Er war es nicht gewohnt, den Zorn eines anderen besänftigen zu müssen. Aber es sah ganz so aus, als würde Trynair sich mit jedem Wort, das er aussprach, noch mehr in seine Wut hineinsteigern. »Und da Sie in mein Arbeitszimmer hereingestürmt kommen, ohne irgendjemanden zuvor über Ihr Kommen zu unterrichten, nehme ich an, dass das, was Sie so erregt, was auch immer es sein mag, in irgendeiner Weise entweder mich oder das Offizium der Inquisition betrifft.«
»Oh ja«, stimmte ihm Trynair zu. »Oh ja, genau das tut es, Zhaspahr! Ich denke, genau so könnte man es ausdrücken!«
»Dann sagen Sie mir schon, worum es hier geht, damit wir endlich zur Sache kommen können!«, gab Clyntahn unumwunden zurück.
»Also gut, Zhaspahr, dann werde ich es Ihnen sagen.« Trynair ließ den Papierstapel auf Clyntahns Schreibtisch fallen. »König Zhames und Bischof-Vollstrecker Frayd haben uns die Nachricht übermittelt, dass die Charisianer die Hälfte oder sogar zwei Drittel von Ferayd niedergebrannt haben. Sie erinnern sich doch noch an Ferayd, oder nicht, Zhaspahr? Dieser Ort, an dem diese ganzen Charisianer sich gegen die delferahkanischen Truppen so ›töricht zur Wehr gesetzt haben‹ - gegen diese Truppen, die den Versuch unternommen hatten, auf Ihren Befehl hin an Bord der charisianischen Schiffe zu gehen, um sie zu beschlagnahmen.«
Clyntahns Gesichtsmuskeln spannten sich ein wenig an. Allerdings weigerte er sich, Trynairs verbalen Köder zu schlucken - wenn die Worte des Kanzlers denn so gedacht gewesen waren. Stattdessen nickte er nur.
»Nun ja, Cayleb und Sharleyan scheinen einen Entschluss gefasst zu haben, wie sie auf derartige Zwischenfälle in Zukunft zu reagieren beabsichtigen. Sie haben zwanzig oder dreißig ihrer Galeonen in den Ferayd-Sund ausgeschickt. Sie haben die Verteidigungsbatterien zu Klump geschossen - und sie dann auch noch in die Luft gesprengt, nachdem die dortigen Truppen kapituliert hatten. Und dann haben sie jedes einzelne Gebäude am Ufer von Ferayd in einem Umkreis von zwei Meilen niedergebrannt.«
Auch in Clyntahns Augen loderte nun Zorn, als Trynair die Liste der Vergeltungsmaßnahmen aufzählte, zu denen die Charisianer gegriffen hatten. Er wollte schon den Mund öffnen. Mit einer kurzen, scharfen Handbewegung bedeutete Trynair ihm jedoch zu schweigen.
»Ich bin noch nicht fertig, Zhaspahr!« Dieses Mal war die Stimme des Kanzlers eisig, nicht mehr heißblütig, und sein Blick durchbohrte Clyntahn beinahe. »Obwohl sie einen Großteil der Stadt niedergebrannt haben, haben es die Charisianer darauf angelegt, dass es unter den Delferahkanern so wenige Verluste wie nur möglich gegeben hat. Sie haben der Zivilbevölkerung sogar gestattet, ihre tragbaren Wertsachen aus den Häusern zu holen, die sie niederzubrennen beabsichtigten. Das ist nicht gerade die Reaktion, die man von einer Schar Ketzer und Gotteslästerer erwartet, nachdem delferahkanische Truppen ihre
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