Die Invasion - 5
Markovianischen See konnte der Winter ebenso kalt und beißend werden wie südlich der Eiswind-See - und das derzeitige Wetter schien genau das auch unter Beweis stellen zu wollen. Wenigstens, dachte Fytzhyw dankbar, schüttet es nicht mehr wie aus Eimern. Am gestrigen Tag hatte sich der unablässige Regen auch noch in eisige Graupeln verwandelt. Alles stehende Gut war schon bald mit einer dicken Eisschicht überzogen. Fytzhyw hatte das an die Äste eines Waldes im tiefsten Winter erinnert. Die Temperaturen waren noch nicht weit genug angestiegen, um das Eis schmelzen zu lassen (falls sie überhaupt die Absicht hatten, jemals wieder so hoch zu steigen). Doch hin und wieder fielen einzelne Eisbrocken aufs Deck herab. Auch auf den Karronaden glitzerte eine glasartige Eisschicht, und immer wenn die Segel gebrasst wurden, rieselten weitere Eisstückchen herab wie zahllose Kristallscherben.
Ich frage mich, warum wir es für eine gute Idee gehalten haben, überhaupt aus dem Hafen auszulaufen!, dachte Fytzhyw, selbstverständlich eine rhetorische Frage. Er schaute nach Norden gewandt zum Himmel hinauf.
Die Antwort auf seine Frage wusste Fytzhyw nämlich nur zu gut. Die Gewässer südlich der Markovianischen See hatten bereits andere Freibeuter gänzlich leer gefischt. Den Golf von Tarot, den Tarot-Kanal, die Tranjyr-Passage und das Meer der Gerechtigkeit hatte man ebenfalls gründlich abgegrast. Es hätte Fytzhyw zutiefst erstaunt, wenn es auf der ganzen Welt überhaupt noch zwanzig Händler gäbe, die unter der Flagge von Tarot fuhren. Die Gewässer vor Delferahk, die noch weiter im Süden lagen, hatte man im Laufe der vergangenen Monate sogar noch gründlicher durchforstet: Nach dem Ferayd-Massaker hatten charisianische Schiffe die gesamte Küste von Delferahk abgesucht und wie hungrige Todeswale sämtliche Küstengewässer des Königreichs durchkreuzt. Mit dem Desnairianischen Reich aber befand sich das Kaiserreich Charis (noch) nicht im Krieg. Damit blieben effektiv nur noch die Harthianische See und der Golf von Harchong übrig. Beides lag weit im Westen - für ein Schiff von der Größe der Loyal Son einfach zu weit entfernt.
Abgesehen davon war Symyn Fytzhyw nicht nur des Geldes wegen zu einem Freibeuter geworden. Natürlich hatte er nichts dagegen, eine zufriedenstellende Menge davon anzuhäufen. Eigentlich aber ging es ihm nur darum, diesen Mistkerlen in Zion zu schaden, wann immer ihm das möglich war.
Und das war der eigentliche Grund, warum er sich jetzt an einem eisigen, stürmischen, ganz und gar widerlichen Tag wie diesem hier auf hoher See befand. Von der Größe her konnte die Loyal Son es nicht mit den meisten anderen Freibeuter-Schiffen aufnehmen. Daher war ihr Skipper auch längst nicht so wohlhabend wie viele andere Schiffseigner. Doch er hatte immer noch das Netzwerk verschiedenster Kontaktmänner, das bereits sein Vater aufgebaut hatte, und dazu gehörten auch einige Personen im unabhängigen Herzogtum Fallos.
Die Insel Fallos maß von der Nord- bis zur Südspitze beinahe neunhundert Meilen. Aber insgesamt lebten dort weniger Menschen als beispielsweise in der Stadt Tellesberg. Im Großen und Ganzen achtete eigentlich niemand sonderlich auf Fallos. Das Herzogtum jedoch besaß eine außerordentlich kostbare Naturressource: Bäume. Viele, wirklich viele Bäume. Bäume, aus denen sich das beste Holz für den Schiffsbau gewinnen ließ. Die meisten Fallosianer - zumindest die, die nicht als Farmer oder Fischer ihren Lebensunterhalt bestritten - waren Holzfäller, Zimmerleute, Schreiner und dergleichen, und sie schlugen beachtlichen Profit daraus, den verschiedenen Festlandsreichen ihr Holz zu verkaufen. Eigentlich gehörte Charis nicht zu den Kunden von Fallos. Denn ein Großteil des Königreichs Charis war immer noch von Wäldern bedeckt, und auf der Silbererz-Insel gab es größere Wälder als in Fallos. Dort wuchsen vielleicht sogar noch bessere Bäume, die zudem der Heimat viel näher waren. Auf dem Festland allerdings waren schon beachtliche Waldgebiete abgeholzt, und die nachwachsenden Wälder konnten es mit den prächtigen Bäumen aus Fallos' unberührten Wäldern keinesfalls aufnehmen: Es ließen sich daraus längst keine so guten Masten und Spiere fertigen. Terpentin war ein weiteres der Hauptexportprodukte von Fallos; Gleiches galt für Pech.
Unter gewöhnlichen Umständen konnte man auf Fallos dank der aus dem Wald gewonnenen Produkte ein recht bequemes Leben führen. Doch es bestand kaum
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