Die Invasion - 5
zuckte mit den Schultern. »Ich mache mir keine Sorgen darum, ob ich die Lage im Griff behalten kann, Euer Eminenz. Ich mache mir nur Sorgen darum, es könnte so wirken, als wolle ich Caylebs Autorität untergraben. Oder schlimmer noch: ob ich vielleicht, ohne es zu wollen, seine Autorität wirklich untergrabe!«
»So leicht zu erschüttern ist Kaiser Caylebs Autorität nun auch wieder nicht, Eure Majestät«, gab Staynair trocken zurück. »Ich denke, das Rüstzeug seiner Herrschaft wird schon den einen oder anderen Kratzer verkraften, den Ihr gänzlich unbeabsichtigt darauf hinterlasst - vor allem, da es für mich ganz offensichtlich ist, dass Ihr nicht die Absicht habt, seine Machtbefugnisse an Euch zu reißen. Und offen gestanden, ich glaube, es dürfte Euch schwerfallen, Euch unbotmäßig dieser Befugnisse zu bedienen. Schließlich sind es auch Eure Machtbefugnisse. In jedem Fall aber ist zu viel Selbstbewusstsein im Umgang mit der Macht momentan weniger gefährlich als Zögerlichkeit, nur weil Ihr fürchtet, Ihr könntet Euch zu viel herausnehmen. Charis - das Kaiserreich, nicht lediglich das ›Alte Charis‹ - braucht eine starke Hand am Ruder, vor allem jetzt. Und im Augenblick steht nun einmal Ihr dort.«
»Ich weiß«, gab sie zu, dann nippte sie an ihrem Wein, als wolle sie ein wenig Zeit schinden, um ihre eigenen Gedanken besser ordnen zu können. »Ich weiß«, wiederholte sie, »und wenn ich ganz ehrlich sein darf, sollte ich wohl gestehen, dass ein Teil von mir es genießt, wenn ich Entscheidungen treffen kann, die wirklich von Bedeutung sind. Ich habe mich oft gefragt, ob ich mich hier nicht selbst der Sünde des Stolzes bezichtigen muss.«
»Und habt Ihr diese Sorge schon einmal mit Pater Carlsyn besprochen?«, erkundigte sich Staynair in etwas neutralerem Tonfall. Carlsyn Raiyz war schon Sharleyans persönlicher Beichtvater gewesen, als sie den chisholmianischen Thron bestiegen hatte. Staynair hingegen kannte, aus offensichtlichen Gründen, den Mann erst seit kurzem.
»Das habe ich tatsächlich.« Sie verzog die Lippen zu einem schiefen Grinsen. »Bedauerlicherweise beichte ich ihm zwar alles, aber er ist deutlich vorsichtiger mit seinen Bekenntnissen mir gegenüber. Er hat mich immer wieder zu beruhigen versucht, und er hat mir auch das eine oder andere Mal eine Buße auferlegt - na ja, vielleicht war es auch ein wenig häufiger -, wenn er der Ansicht war, ich hätte jemanden deutlich härter angegangen, als das erforderlich gewesen wäre. ›Selbstvertrauen‹, so sagt er immer, ›ist etwas Gutes. Launenhaftigkeit hingegen nicht.‹«
»Ein guter Grundsatz«, bestätigte Staynair und lächelte ebenfalls. »Und auch eine gute Philosophie. Und wenn Ihr gestattet, Eure Majestät: Dürfte ich Euch fragen, ob Ihr mit ihm schon über die Kirchenspaltung gesprochen habt?«
»Nicht so ausführlich, wie wir über andere Dinge gesprochen haben«, räumte Sharleyan ein, und ihre Augen verfinsterten sich. »Er hat diesbezüglich keinerlei Druck auf mich ausgeübt, und das sagt wohl an sich schon eine ganze Menge aus. Aber die Wahrheit ist: Ich traue mich beinahe nicht, ihn zu fragen, wie er darüber denkt. Wenn er bereit ist, meine Entscheidung diesbezüglich zu akzeptieren, ohne sie öffentlich zu verdammen, dann ist das deutlich besser als das, was manch andere bereits getan haben.«
Ihr Tonfall hatte mit einem Mal alle Leichtigkeit verloren. Staynair blickte sie mitfühlend an.
»Meint Ihr damit Euren Herrn Onkel, Eure Majestät?«, fragte er mit sanfter Stimme.
Sharleyans Kopf zuckte hoch. Einige Sekunden lang verriet der Blick, den sie Staynair über den Esstisch hinweg zuwarf, ihre innere Anspannung. Dann glaubte der Erzbischof einen winzigen Moment lang, ihre Lippen zittern zu sehen.
»Ja«, gestand sie, und Staynair nickte.
Vor Caylebs Eheschließung mit Sharleyan hatte es nur einige wenige Charisianer gegeben, die mit der Dynamik der Innenpolitik von Chisholm sonderlich vertraut gewesen waren. Staynair hatte nicht zum Kreis dieser Männer und Frauen gehört. Doch nach Caylebs Entschluss war es ihm wichtig gewesen, das zu ändern. Besonders ein Umstand war ihm dabei ins Auge gesprungen: Herzog Halbrook Hollow war weit mehr als ein beliebiger Vertreter des chisholmianischen Hochadels. Er war sogar mehr als nur der Onkel der Königin. Als Oberkommandierender der Royal Army war er in der gleichen Art und Weise Sharleyans Schwert gewesen, wie Green Mountain immer ihr Schild gewesen war. Und
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