Die irische Meerjungfrau
einen Platz an der Theke. Hier hatte er den Überblick und die beste aller Aussichten. Eine ganze Batterie umgedrehter Flaschen wartete direkt vor seiner Nase darauf, den hochprozentigen Inhalt in seine durstige Kehle laufen zu lassen. Erwartungsvoll rieb er sich die kalten Hände und bestellte einen Whisky.
Die Klientel war bunt gemischt. Jung und Alt, Männer und Frauen. Neben dem Kamin war ein Kinderwagen abgestellt, der Inhalt plärrte derweil in einer anderen Ecke. Unter irgendeinem Tisch kläffte ein kleiner Hund. Und jeder kannte jeden. Kein Wunder, bei rund hundertzwanzig Menschen war die Einwohnerzahl von Foley überschaubar. Die meisten waren wahrscheinlich miteinander verwandt, drei oder vier Großfamilien, der Rest war zu vernachlässigen.
Nicht zu vernachlässigen waren allerdings die Brüder Keane, die bis vor etwa zehn Jahren hier ihr Unwesen getrieben hatten.
Fin nippte an seinem goldgelben Drink. Irgendwann musste er mit seiner Arbeit anfangen, warum also nicht gleich?
Seine Augen fielen auf ein Plakat neben dem Foto der lokalen Rugbymannschaft und dem Durchgang zur Küche. Es kündigte den Auftritt eines Folkduos an und war fast auf den Tag genau fünf Jahre alt.
»Gibts hier auch Musik?«, fragte er und bedeutete dem Wirt, sein Glas noch mal zu füllen.
Der Mann löste seinen Blick vom Fernseher, wo die Wiederholung einer uralten Folge von Ally McBeal mit abgedrehtem Ton über die Mattscheibe geisterte, und wandte ihm seine gedrungene Boxergestalt zu. »Nee, nur im Sommer.« Das Flimmern des Bildschirms spiegelte sich auf seinem kahlrasierten Schädel. »Touristen mögen so was.«
Also eher selten.
Ein volles Glas tauchte vor ihm auf. »Sie sind auf der Durchreise?«
Fin hielt die Frage für einen schlechten Scherz. Durch Foley kam niemand durch. Hinter Foley war die Welt zu Ende, da lag nur noch das Meer und dahinter Amerika. Aber er hatte damit gerechnet, dass die Leute neugierig sein würden. Wahrscheinlich wusste bereits das ganze Dorf, dass bei der Witwe MacCormack ein Fremder abgestiegen war.
»Urlaub.«
»Urlaub? Im November?«
Fin hatte sich vorbereitet. »Naja, eher so ne Art Beziehungsurlaub. Habn bisschen Stress mit meiner Frau. Musste einfach mal raus.« Das stimmte natürlich nicht. War aber auch nicht komplett gelogen.
Der Wirt nickte verständnisvoll. »Kenn ich. Wünsche ich mir auch manchmal. Kann nur leider den Laden nicht einfach zumachen.« Er stellte zwei Bier in die Nachbarschaft. »Ich heiße übrigens Ronan. Ronan O’Shea. Für meine Freunde Ronnie.«
Fin nickte. Klappte besser als er dachte. »Fin.«
»Fin?«
»Einfach nur Fin. Für alle.«
Finbar. Er hasste diesen Namen. Welcher Teufel hatte seine Eltern damals geritten, ihn Finbar zu nennen? All seine Schulkameraden hießen John, Peter, George oder Andrew, und alle hatten sie ihn mit seinem komischen Namen aufgezogen. Am meisten hatte er es gehasst, wenn er etwas ausgefressen hatte und seine Mutter nach ihm rief, um ihn zur Rede zu stellen. Die Art, wie sie die zweite Silbe betonte, dabei völlig unnötig in die Länge zog und am Ende auch noch die Stimme anhob. Finbaaaaaar …
Susan hatte es letzten Endes genauso gemacht.
Susan, seine zukünftige Exfrau.
»Darfs noch was sein?« Ronan blickte fragend auf sein leeres Glas.
Fin fuhr sich durch seine struppigen, vom Regen noch immer feuchten Haare und zögerte. Vielleicht sollte er lieber etwas essen, bevor er sich weiter dem Alkohol widmete. Der Abend konnte lang werden.
»Vielleicht einen Fisherman’s Fellow?«
»Einen was?«
»Spezialität des Hauses. Ursprünglich wollten wir’s Fisherman’s Friend nennen, aber der Name war schon besetzt, also haben wir’s Fisherman’s Fellow genannt.«
»Und was genau ist ein Fisherman’s Fellow?«
Ronan tat geheimnisvoll. »Altes Familienrezept.«
»Na, dann her damit.«
Es konnte auf keinen Fall schaden, sich mit dem Wirt gut zu stellen, Vertrauen aufzubauen. Vor allem, wenn man Informationen wollte. Und wo wechselten Informationen schneller und häufiger den Besitzer als in einem Pub?
Ronan verschwand in der Küche und kam einen Augenblick später mit einem Tonkrug wieder, aus dem es mächtig dampfte. Er tat furchtbar geheimniskrämerisch und wandte Fin den Rücken zu, damit der ja nicht sah, was er noch so alles in den Drink hineinmixte.
Schließlich stellte er den Krug vor ihn auf die Theke. »Genau das Richtige für ein Wetter wie heute, wärmt und weckt die Lebensgeister. Sláinte
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