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Die irische Meerjungfrau

Die irische Meerjungfrau

Titel: Die irische Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Roemer
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    Fin betrachtete argwöhnisch seinen Fisherman’s Fellow. Oberflächlich gesehen schien es sich um ein Pint heißes Bier zu handeln, dessen dünne Schaumkrone einige verräterische rote Tropfen wie Blutspritzer zierten. Was sich allerdings darunter verbarg, ließ sich nur auf einem Weg herausfinden. Vorsichtig nippte er an dem Zeug. Es war kochend heiß, hochprozentig und brannte wie die Hölle. So schnell es ging würgte er den Schluck hinunter.
    »Klasse …!«, krächzte er. Zuhause würde er damit den Gartenzaun abbeizen. »Was ist da drin?«
    »Tja, heißes Guinness mit selbstgebranntem Whisky, eine Prise brauner Zucker, ein paar Spritzer Tabasco obendrauf«, verkündete Ronan nicht ohne Stolz, »und noch so ein paar geheime Zutaten.«
    Wahrscheinlich Sanitärreiniger oder Unkrautvertilger. Eins allerdings stimmte, das Gebräu wärmte ungemein. Für die Unversehrtheit eventuell vorhandener Lebensgeister würde er aber nicht unbedingt die Hand ins Feuer legen.
    Er zog seine Jacke aus, als sich ein weißhaariger Zausel neben ihn an die Theke drängte und mit schiefsitzendem Zahnersatz einen Fisherman’s Fellow bestellte. Offenbar war der Trank nicht nur kreiert worden, um ahnungslosen Fremden das Geld aus der Tasche zu ziehen. Ronan trollte sich in die Küche, und Fin nutzte die Gelegenheit, nach der Dame des Hauses Ausschau zu halten, um endlich von flüssiger auf feste Nahrung umzusteigen. Isobel, so hatte Ronan sie wohl gerufen, verteilte einen gut gefüllten Teller nach dem anderen unter ihren Gästen und das auf Absätzen, die einen vom bloßen Hinsehen schon schwindlig machten. Sie schien um einiges jünger als ihr Mann, mindestens zwanzig Jahre – wenn die beiden überhaupt verheiratet waren. Sie war höchstens Anfang dreißig, dunkelhaarig und ausgesprochen wohlproportioniert. Der Rock war gefährlich kurz, das T-Shirt eine Spur zu eng, und das, was für Fins Geschmack an einer Stelle zu wenig war, war an anderer Stelle zu viel. Zu viel Make-up, zu viel Haarspray, zu viel auffälliger Schmuck.
    »Neu in der Gegend?«
    Die Stimme kam aus einem ganzen Stockwerk tiefer. Fin blickte nach unten und bemerkte den Alten, der neben ihm auf dem Barhocker saß und im Stehen wahrscheinlich auch nicht größer war als im Sitzen.
    »Meinen Sie mich?«
    »Türlich. Alle anderen hier kenn ich ja.«
    Bei genauem Hinsehen entpuppte sich der Alte allerdings als zottelige Oma, körperlich wohl irgendwo in den Achtzigern, geistig allerdings eher in den Sechzigern angesiedelt. Die abgewetzte Fransenjacke aus braunem Wildleder hätte Jimi Hendrix alle Ehre gemacht, das Sammelsurium an Halsketten, von denen das Peace-Zeichen noch das unauffälligste war, hätte den Neid jedes Beatniks erregt, und das schneeweiße, spröde Gekringel auf ihrem Haupt, Zeugnis einer missglückten Dauerwelle, hätte ihr einen Ehrenplatz in jeder Hippiekommune beschert. Und wenn ihn seine Nase nicht völlig im Stich ließ, umwehte die alte Dame eine sanfte Brise von Marihuana. So etwa stellte er sich die Mutter von Keith Richards vor.
    »Ich mache Urlaub hier.«
    »Ha! Das sagen sie alle.« Und nahm einen großzügigen Schluck von ihrem dampfenden Fisherman’s Fellow. Fin wartete darauf, dass winzige Rauchwölkchen aus ihren Nasenlöchern stiegen.
    »Wer sagt das?«
    »Na, die anderen eben.« Mit Todesverachtung leerte sie ihren Krug und schob ihn in Ronans Reichweite, der ihn im Vorbeigehen schnappte und schon in die Küche entwischt war, ehe Fin etwas zu essen ordern konnte.
    »Welche anderen?«
    »Die Kerle, die Shergar suchen.«
    Fin stutzte. »Die suchen wen?«
    »Shergar.«
    Ohrenbetäubender Lärm setzte ein, als plötzlich jemand den Fernseher lauter drehte. Ein Rugbyspiel, vielleicht auch   Gaelic football   – die Begeisterung erwachsener Männer für Raufen mit Ball war Fin schon immer suspekt gewesen. Er hatte gar nicht gemerkt, wie sich das Pub allmählich gefüllt hatte. An der Theke standen die Leute bereits in Zweierreihen. Zigarettenqualm vernebelte die Sicht. Das landesweite Rauchverbot war nicht bis hierher gedrungen, was nicht weiter verwunderte, waren doch die Einwohner von Foley seit jeher Opportunisten. Schon aus Tradition.
    »Aber die haben schon damals hier jeden Stein einzeln umgedreht und nix gefunden.«
    »Wer?«
    »Die Polizei natürlich.«
    »Was hätte sie denn finden sollen?«
    Die Alte sah ihn verständnislos an. »Na Shergar, wen denn sonst?«
    Ein frischgezapfter Krug knallte vor ihr auf den Tresen.

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