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Die irische Meerjungfrau

Die irische Meerjungfrau

Titel: Die irische Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Roemer
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sich um.
    Aber da war nichts. Nichts außer den gespenstischen Nebelfetzen, die lautlos übers Wasser glitten. Nichts, das dieses eigenartige Geräusch verursachen könnte, dieses dumpfe, rhythmische Hämmern, das immer lauter wurde. Zuerst dachte er an das Tuckern eines Schiffsdiesels, ein Fischkutter draußen auf See. Aber dieses Geräusch stammte nicht von einer Maschine. Und es war viel näher als jeder Kutter sein konnte.
    Er merkte, dass er unbewusst den Atem anhielt, als könne er dadurch besser hören. Seine Augen tasteten sich durch den Nebel, suchten nach einem Schatten, einer Bewegung. Das Vibrieren des Sandbodens unter seinen Füßen wurde stetig stärker, so als ob sich etwas Schweres, etwas Gewaltiges näherte. Langsam tastete er sich rückwärts in Richtung Dünen. Was da auch immer auf ihn zu kam, vielleicht war es nötig, in Deckung zu gehen …
    Eine Gestalt schälte sich aus dem Dunst, wurde größer, begleitet von heftigem Schnaufen.
    Dann konnte er das Geräusch einordnen.
    Hufschlag.
    Er atmete auf.
    Ein Pferd tauchte aus dem Nebel auf. Ein riesiger Schimmel, der mit langen Sprüngen am Wasser entlanggaloppierte, aus tiefen Nüstern quoll jeder Atemzug als weiße Dampfwolke. Auf seinem Rücken eine dunkel gekleidete Gestalt, ein weiter Mantel bauschte sich im Wind.
    Fin war stehengeblieben und starrte die Erscheinung so entgeistert an wie eine heranfliegende Untertasse. Keine fünfzig Meter trennten sie. Den Kopf tief über die flatternde Mähne gebeugt war der Blick des Reiters unbeirrt nach vorn gerichtet, als fixierten seine Augen ein imaginäres Ziel in der Ferne. Er schien Fin gar nicht zu bemerken. Wie ein Gespenst schwebte das Pferd über den Strand, kein Huf schien den Sand zu berühren. Der Nebel verzerrte nicht nur jedes Geräusch, er schien auch die Gesetze der Schwerkraft zu ignorieren und jede Bewegung auf ein Minimum zu verringern.
    Wasser spritzte, Sandklumpen flogen in hohem Bogen auf. Dann verschwand der Schimmel wieder im Nebel, sein Hufschlag folgte ihm wie ein Echo und verstummte schließlich.
    Fin blickte noch eine ganze Weile auf die Stelle, an der er verschwunden war. Er war sich nicht ganz sicher, ob er das eben wirklich gesehen oder sich nur eingebildet hatte. Er ging hinunter ans Wasser und suchte vergeblich den glattgespülten Sand ab. Entweder hatten die Wellen die Hufspuren schon weggewischt, oder es hatte sie nie gegeben.
    Er sollte wirklich mit dem Trinken aufhören.
    Er schüttelte den Kopf und machte sich auf den Rückweg. Dort, wo der Strand zu Ende war und ein Weiterkommen von scharfkantigen Felsen vereitelt wurde, führte der Trampelpfad durch die Dünen zur Straße hinauf. Er fand seine Fußspuren wieder, die er beim Runtergehen hinterlassen hatte, aber sie waren nicht alleine. Tiefe Hufabdrücke hatten den feuchten Sand aufgewühlt.
    Oben bei seinem Wagen blieb er stehen und lauschte. Fast erwartete er, irgendwo in der Ferne Hufe auf Asphalt klappern zu hören, aber alles war still.
    Immerhin, der Reiter war real gewesen. Keine Halluzination. Kein sagenumwobener kopfloser Kerl. Kein Rächer auf einem feuerschnaubenden, glutäugigen Ross, geradewegs einer irischen Legende entsprungen. Nicht einmal einer der apokalyptischen Vier. Nur ein ganz normaler Mensch auf einem Pferd aus Fleisch und Blut.
    Glaubte er wenigstens.
    Mit einem Blick auf die Uhr beschloss Fin, dass es Zeit war für ein Pub. Zeit für ein Abendessen und einen verdammt großen Whisky.

2. The Fisherman
    Das   Fisherman   war das angesagteste Pub in Foley. Und das einzige. Und wo es keine Konkurrenz gab, bestand auch keine Notwendigkeit, irgendetwas zu verändern.
    Die Holzverkleidung der Wände und Nischen, die verschrammten Tische und Stühle, die wuchtige Theke, alles war im Laufe von Jahrzehnten durch Nikotin und Torffeuer dunkel geworden. Die letzte Generalüberholung der rissigen, dunkelroten Lederpolster musste mehr als zwanzig Jahre zurückliegen. An den kleinen Fenstern filterten brüchige Gardinen das Licht und verhinderten die freie Sicht auf staubige Scheiben. Auf dem blankgescheuerten Boden fristete ein abgetretener Teppichläufer ein trauriges Dasein vor einem rußgeschwärzten Kamin, zwischen dessen schiefen Mauern ein Feuer bläulich flackernd vor sich hin kümmerte und wenig Wärme verbreitete. Aber die war auch nicht nötig, das Pub war gut besucht, fast alle Nischen und Tische waren besetzt. Es roch nach Zigaretten, nassen Pullovern und verbranntem Kaffee.
    Fin ergatterte

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