Die irische Signora
verschwunden.
Am Donnerstag wurden die vier Schachteln wieder abgeholt, und Lou hatte alles so vorbereitet, daß auch diese Transaktion in Sekundenschnelle über die Bühne ging. Er machte sich bei der Lehrerin regelrecht lieb Kind, weil er ihr immer zur Hand ging, wenn sie zum Beispiel rotes Kreppapier und Besteck auf die Schachteln legen wollte.
»
Quanto costa il piatto del giorno?«
fragte die Signora, und alle wiederholten diesen Satz immer und immer wieder, bis sie nach jedem verdammten Gericht fragen und mit dem Messer in der Hand sagen konnten: »
Ecco il coltello!«
Es war vielleicht Kinderkram, aber Lou machte es trotzdem Spaß. Er hatte schon vor Augen, wie er eines Tages zusammen mit Suzi nach Italien reisen und ihr in fließendem Italienisch ein
bicchiere di vino rosso
bestellen würde.
Einmal hob die Signora eine schwere Schachtel hoch, eine von der Lieferung.
Und Lou fühlte, wie ihm das Herz in die Hosen rutschte, als er hastig sagte: »Ach, Signora, lassen Sie
mich
das doch machen. Und nehmen wir doch lieber leere Schachteln.«
»Aber was ist denn da bloß drin, daß es so schwer ist?«
»Weiß man, was sie in einer Schule so rumstehen haben? So, daß hätten wir. Was ist denn heute dran?«
»Hotels,
alberghi. Albergho di prima categoria, di seconda categoria
.«
Und Lou freute sich wie ein Schneekönig, weil er verstand, worum es ging. »Vielleicht war ich ja gar nicht dumm in der Schule«, sagte er zu Suzi. »Vielleicht haben sie es mir nur falsch beigebracht.«
»Schon möglich«, meinte Suzi, die nur mit halbem Ohr zuhörte. Denn es gab Ärger mit Jerry. Ihre Mam und ihr Dad waren zum Direktor bestellt worden. Scheint eine ernste Sache, hatten sie gesagt. Und das, obwohl Jerry sich so gut entwickelt hatte, seitdem die Signora bei ihnen wohnte; er erledigte sogar seine Hausaufgaben und lernte mit. Diebstahl oder so etwas konnte es ja wohl nicht sein. Aber in der Schule hatten sie sehr geheimnisvoll getan.
Eine der angenehmen Seiten an der Arbeit in einem Café war, daß man den Leuten bei ihren Gesprächen zuhören konnte. Allein mit den Gesprächsfetzen, die sie beim Bedienen aufschnappte, könnte sie ein Buch über Dublin schreiben, meinte Suzi immer.
Die Menschen planten heimliche Wochenenden zu zweit, schmiedeten Pläne für Seitensprünge und besprachen mögliche Steuerhinterziehung. Man erfuhr von unglaublichen Skandalen in Politiker-, Journalisten- und Schauspielerkreisen … vielleicht nicht unbedingt wahr, aber immer haarsträubend. Trotzdem waren oft die allergewöhnlichsten Gespräche die interessantesten. So zeigte sich etwa eine Sechzehnjährige wild entschlosssen, schwanger zu werden, damit sie von zu Hause ausziehen und eine Sozialwohnung beantragen konnte; ein Paar, das Personalausweise fälschte, debattierte die Vorzüge verschiedener Beschichtungsverfahren. Lou hoffte, daß Robin und seine Freunde nicht ausgerechnet in diesem Café ihre Raubzüge besprachen, aber eigentlich war es eine Klasse zu vornehm für sie. Wahrscheinlich konnte er in dieser Hinsicht unbesorgt sein.
Wenn die Gäste interessante Dinge besprachen, machte Suzi einfach am Nebentisch besonders gründlich sauber. So auch, als ein Mann im fortgeschrittenen Alter mit seiner Tochter kam, einer attraktiven Blondine mit dem Logo einer Bank am Blazer. Der Mann hatte ein faltiges Gesicht und relativ lange Haare. Schwer zu sagen, was er von Beruf war, vielleicht Journalist oder Schriftsteller, doch er kam Suzi vage bekannt vor. Die beiden schienen sich zu streiten. Und so blieb Suzi in der Nähe.
»Ich habe nur in ein Treffen eingewilligt, weil ich eine halbe Stunde Pause habe und lieber ordentlichen Kaffee trinke als das Spülwasser in unserer Kantine«, sagte das Mädchen.
»Eine brandneue, wunderschöne Kaffeemaschine und vier verschiedene Kaffeesorten warten bei mir zu Hause auf dich«, sagte er nicht wie ein Vater, sondern eher wie ein Liebhaber. Aber er war doch schon uralt. Suzi polierte mit Hingabe die Tischplatte, um noch mehr mitzukriegen.
»Das heißt, du hast sie schon benutzt?«
»Ich übe, damit ich dir am Tag deiner Rückkehr einen Blue Mountain oder Costa Rica aufbrühen kann.«
»Da kannst du lange warten.«
»Bitte, laß uns miteinander reden.« Trotz seines Alters sah er recht gut aus, das mußte Suzi zugeben.
»Wir reden doch miteinander, Tony.«
»Ich glaube, ich liebe dich.«
»Nein, das tust du nicht. Dir gefällt nur die Erinnerung an die Zeit mit mir. Und du kannst es
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