Die irische Signora
gewöhnt war, sofort Beachtung zu finden, wohin er auch kam. Türsteher beeilten sich, ihm zu öffnen, die Verkäuferin in der Boutique ließ die anderen Kunden warten, wenn er eine Zeitung kaufen wollte, und sogar Connie, die sonst als ziemlich kühl galt, sah bei seinem Erscheinen auf und lächelte ihm freundlich zu.
Besonders freute sie sich, als er einmal Zeuge wurde, wie sie im Umgang mit schwierigen Geschäftsreisenden großes Geschick bewies. »Sie sind eine richtige kleine Diplomatin, Miss O’Connor«, bemerkte er bewundernd.
»Es ist uns immer eine Freude, Sie hier begrüßen zu dürfen, Mr. Kane. Im Konferenzraum ist alles für Sie vorbereitet.«
Harry Kane führte mit zwei älteren Partnern ein neu gegründetes und sehr erfolgreiches Versicherungsunternehmen, das für die alteingesessenen Firmen eine große Konkurrenz darstellte. Manche argwöhnten, die Firma habe zu schnell zu stark expandiert, über kurz oder lang würde sich das rächen. Doch dafür gab es keine Anzeichen. Seine Partner, die in Galway und Cork tätig waren, trafen sich jeden Mittwoch mit Harry Kane im Hayes-Hotel. Die Sitzung, der auch eine Sekretärin beiwohnte, dauerte von neun Uhr bis halb eins, anschließend luden sie Geschäftspartner zum Lunch ein.
Dabei handelte es sich zuweilen um Minister, Wirtschaftsbosse oder Vorsitzende großer Gewerkschaften. Connie wunderte sich, daß sie die Sitzungen nicht in ihrem Dubliner Büro abhielten. Denn Harry Kane hatte in einem der georgianischen Häuser ein großes, prestigeträchtiges Büro mit fast einem Dutzend Angestellten. Wahrscheinlich lag es an dem vertraulichen Charakter der Gespräche, und außerdem waren sie hier völlig ungestört. Das Hotel hatte strikte Anweisung, mittwochs keinerlei Anrufe zum Konferenzraum durchzustellen. Die Sekretärin war wohl in alle Firmengeheimnisse eingeweiht und wußte, was es zu verbergen galt. Connie beobachtete sie sehr interessiert, wenn sie allwöchentlich mit den Sitzungsteilnehmern kam und ging. Dann trug sie stets einen Aktenkoffer mit Papieren bei sich, nahm jedoch nie an den Geschäftsessen teil. Trotzdem gehörte sie wahrscheinlich zum engsten Kreis.
Connie wäre auch gerne jemandem auf diese Art zu Diensten gewesen. Jemandem wie Harry Kane. Sie fing an, diese Frau in Gespräche zu verwickeln, wobei sie all ihren Charme und all ihre Redekunst spielen ließ.
»Ist im Konferenzraum alles zu Ihrer Zufriedenheit, Miss Casey?«
»Natürlich, Miss O’Connor, sonst hätte Mr. Kane Ihnen Bescheid gesagt.«
»Wir haben gerade eine Reihe moderner audiovisueller Geräte angeschafft. Vielleicht haben Sie bei Ihren Sitzungen Verwendung dafür?«
»Danke, aber nein.«
Miss Casey schien immer sehr darauf bedacht, das Hotel so schnell wie möglich zu verlassen, als würde ihr Aktenkoffer heißes Geld enthalten. Vielleicht war das sogar der Fall. Connie und Vera konnten stundenlang über den Inhalt des Aktenkoffers spekulieren.
»Ich würde sagen, sie ist ganz einfach eine Fetischistin«, meinte Vera, während sie den kleinen Charlie auf den Knien schaukelte und Deirdre versicherte, sie sei viel hübscher und liebenswerter, als Charlie es je sein würde.
»
Was
?« Connie hatte keine Ahnung, wovon Vera überhaupt sprach.
»Sie ist Sadomasochistin, peitscht ihnen jeden Mittwoch die Seele aus dem Leib. Das gibt ihnen die Kraft zum Arbeiten. Natürlich, das ist in ihrem Koffer – Peitschen!«
»Ach Vera, ich wünschte, du könntest sie einmal sehen.«
Connie lachte Tränen, als sie sich Miss Casey in dieser Rolle vorstellte. Und seltsamerweise war sie eifersüchtig bei der Vorstellung, daß diese ruhige, elegante Miss Casey tatsächlich eine intime Beziehung zu Harry Kane haben könnte. Solche Gefühle hatte sie noch nie bei jemandem empfunden.
»Du bist in ihn verknallt«, bemerkte Vera weise.
»Nur, weil er mich nicht beachtet. Du weißt doch, wie das ist.«
»Warum magst du ihn, was glaubst du?«
»Er erinnert mich ein wenig an meinen Vater«, sagte Connie un- vermittelt, bevor ihr überhaupt bewußt war, daß es genau das war.
»Dann solltest du um so mehr ein Auge auf ihn haben«, riet ihr Vera, der es als einziger erlaubt war, Richard O’Connors kleine Wettleidenschaft zu erwähnen, ohne daß seine Tochter ihr den Kopf abriß.
Ohne allzu auffällig Erkundigungen einzuziehen, erfuhr Connie Stück für Stück mehr über Harry Kane. Er war beinahe dreißig, ledig, seine Eltern lebten als kleine Bauern auf dem Land. Er hatte es als
Weitere Kostenlose Bücher