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Die irre Heldentour des Billy Lynn

Die irre Heldentour des Billy Lynn

Titel: Die irre Heldentour des Billy Lynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Fountain
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nie wieder in die Augen sehen, ihm selbst bloßes Anwesendseinin seiner griesgrämigen, verbitterten Gegenwart verweigern, man kriegt den Drecksack einfach nicht los. So oder so, er bleibt Daddy, nicht mal der allmächtige Tod würde daran etwas ändern.
    Denise versorgte ihren Mann brav mit allem, was er verlangte, nur nie sofort, stellte Billy fest, sie ließ ihn gern erst zwei-, dreimal knurren, und wenn sie ihm endlich etwas auftrug, einschenkte, vorschnitt, dann mit derselben zerstreuten Multitasking-Attitüde, mit der sie beim Telefonieren nebenbei Blumen goss. Sie war tückisch. Sie agierte mit einer passiv-aggressiven Hinterhältigkeit. Ihre Haare hatten eine undefinierbare Farbe, verwaschene Chemietönung, die für Emotionales zuständigen Gesichtsmuskeln hatten kaum noch Tonus, aber sie schaffte immer noch, hin und wieder ein traurig-schräges Lächeln aufzulegen, ein bisschen gezwungene Freude, ähnlich der Weihnachtsbeleuchtung in Arme-Leute-Vierteln. Sie strengte sich mächtig an, eine fröhliche Gesprächsatmosphäre aufrechtzuerhalten, aber die familiären Sorgen tröpfelten immer wieder von allen Ecken herein. Geldsorgen, Ärger mit Versicherungen, Ärger mit der Medizinbürokratie, Ärger über den nervensägenden starrköpfigen Ray. Während des Essens wurde Brian unruhig. »Heh!«, rief Kathryn. »Heh, Briny, kuck mal hier!« Sie steckte sich zwei von Rays Marlboros in die Nase und verschaffte damit allen noch mal fünf Minuten Ruhe.
    »Sie hat heute angerufen«, sagte Denise und schenkte sich das dritte Glas Wein ein.
    »Wer hat angerufen?«, fragte Billy ahnungslos. Seine Schwestern johlten. Kathryn kreischte wie eine aufgekratzte Debütantin: »Dieses Flittchen !« Sie zog sich die Zigaretten aus der Nase und steckte sie wieder in die Schachtel. »Mutter weiß ganz genau, dass sie mit der nicht reden darf. Das soll alles nur über die Anwälte laufen.«
    »Wieso«, sagte Denise, »die hat doch angerufen. Was kann ich dafür, wenn die Frau ständig bei mir zu Hause anruft.«
    »Deswegen musst du noch lange nicht mit ihr reden«, stellte Patty klar.
    »Na, ich kann ja nicht einfach auflegen. Das ist doch unhöflich.«
    Die Töchter jaulten auf. »Diese Frau«, fing Kathryn an, erlag aber erst mal einem Lachkoller samt trockenem Husten, »diese Frau hatte eine Affäre mit deinem Mann, und du kannst nicht unhöflich sein? Lieber Gott, Mom, die hat deinen Alten achtzehn Jahre lang geknallt, die haben ein Kind zusammen, um Himmels willen. Sei bitte ein Mal unhöflich. Ist ja wohl das Mindeste.«
    Billy wollte darauf hinweisen, dass Ray direkt danebensaß – wäre da nicht ein gewisses Zartgefühl angebracht? Aber anscheinend war das hier so üblich, die Frauen redeten neben ihm und über ihn, als ginge es um Bleichmittelpreise, und Ray selbst hätte ebenso gut taub sein können, so wenig Notiz nahm er. Er hatte O’Reilly fest im Blick und hielt die Gabel mit der Faust umklammert, wie der kleine Brian.
    »Mom«, sagte Patty, »du musst ihr nächstes Mal unbedingt sagen, dein Anwalt hat gesagt, dass du nicht mit ihr reden darfst.«
    »Tu ich ja, das sag ich ihr jedes Mal. Die ruft aber trotzdem andauernd an.«
    »Dann knall der Schlampe den Hörer auf!«, keifte Kathryn und sah Brian mit großen Augen an. Siehst du das? Siehst du, was für’n Haufen Irrer wir sind?
    »Ich weiß nicht, was das bringen soll«, antwortete Denise. »Wir können uns doch ruhig unterhalten, ich meine, was kann das schon schaden, wir haben doch beide kein Geld, das wir uns gegenseitig wegnehmen könnten. Sie sagt: ›Ich hab’n Haufen Rechnungen, wie soll ich’n die Kleine großziehen? Wovon soll ich die denn aufs College schicken?‹ Ich sage: ›Wem sagen Sie das, wir sitzen im selben Boot. Wenn Sie irgendwo Geld auftreiben, herzlichen Glückwunsch, dann können Sie die Arztrechnungen von ihm auch gleich übernehmen.‹«
    Kathryn lachte. »Na los, Mom, sag’s. Sag es! Ihn kann sie auch gleich übernehmen!«
    Eine Wohltat, mit der Billy gar nicht gerechnet hatte, war das Vergnügen, wieder mal in seinem alten Zimmer zu onanieren. Er brauchte nur einzutreten, und schon kamen alle Reminiszenzen an früher hoch, die beiden Einzelbetten mit den blauen Tagesdecken, die Reihe Plastik-Sportabzeichen auf seiner Kommode, der Moschushauch der Adoleszenz, der in der Luft hing wie der lehmige Geruch des Mulchs vom letzten Jahr. Er warf seinen Seesack aufs Bett, schloss die Tür, wollte sich eigentlich nur schnell umziehen, und

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