Die irre Heldentour des Billy Lynn
Laubengel.
»Mom will ein Darlehen darauf aufnehmen. Sie sagt, da kriegt sie hundert, hundertzehn Prozent von dem, was sie ins Haus gesteckt haben, und damit will sie die Arztrechnungen bezahlen. Kathryn hat sich das angeguckt, und die sagt, auf keinen Fall, lieber Insolvenz anmelden, damit kriegt man die meisten Rechnungen schon mal weg und behält obendrein das Haus. Denn wenn Mom ein Darlehen aufnimmt und dann nicht zurückzahlen kann, sind sie und Dad ihr Haus los. Und selbst mit so’nem Darlehen bleiben noch zentnerweise Arztrechnungen offen.«
Zentnerweise. Wie viele Zentner. Billy wagte nicht zu fragen. Aus der Nachbarschaft wehten Zufallsgeräusche herüber – ein Hund bellte, eine Autotür knallte irgendwo zu, ein Stapel Kanthölzer klackerte zu Boden.
»Und was meinst du?«
»Na, glasklar, Mann. Insolvenz anmelden und das Haus behalten.«
»Und warum macht sie das nicht?«
»Weil sie Angst davor hat, was die Leute dann womöglich denken. Kat und ich finden, wen juckt’s, was die Leute denken, man darf das Haus nicht aufs Spiel setzen.« Patty drückte die Zigarette an der Verandamauer aus. »Weißt du, was Idis McArthur ihr neulich nach der Kirche erzählt hat?«
»Nein.«
»Die hat gesagt, dass unsere Familie die ganzen Probleme hat, kommt bloß daher, dass wir nicht richtig beten.«
»Nein, wie originell.«
»Ist schon’ne kaputte kleine Stadt hier«, fand Patty auch.
»Heh«, Kathryn steckte den Kopf aus der Tür, »will jemand Bier?«
Beide wollten, sie hatten es nur noch nicht gemerkt. Der Rest des Morgens verging mit den ständigen Fragen seiner Mutter und seiner Schwestern, was er gern machen würde. Ins Kino gehen? Ein bisschen herumfahren? Auswärts essen? Dabei war Billy vollauf zufrieden damit, an einem warmen Altweibersommertag, in diesem süßem Schwebezustand und dem goldenen Licht einfach abhängen zu dürfen und nichts tun zu müssen, nur in einem Gartenstuhl sitzen oder auf einer Decke liegen und den Morgen träge seinen Gang gehen lassen. Vor zwei Jahren hätte er das nicht gekonnt, er hätte allein bei der Vorstellung, Zeit mit der Familie zu verbringen, auf die Straße rennen und sich die Kleider vom Leib reißen wollen. Ich bin ein anderer Mensch geworden, konstatierte er feierlich. Der Mensch, den du jetzt vor dir hast, ist nicht der Mensch, der du warst. Vielleicht liegt das am Älterwerden, dachte er, streckte sich wieder auf der Decke aus und sah dem prächtigen Feuerrad zu, das die Sonne über den Bäumen drehte. Gar nicht mal an der Zahl von Kalendertagen, vielleicht mehr daran, dass man im Irak in Hundejahren älter wird, jedenfalls konnte man mit so einer Zeitrechnung im Leib gut hier verweilen, in Gesellschaft von Mutter und Schwestern und einem leicht überdrehten kleinen Neffen, nicht wirklich zur Ruhe gekommen zwar, aber doch still. Es langsam angehen und geschehen lassen, was geschehen wollte. Vielleicht kam das dabei heraus, wenn man als Soldat im Irak war, war das die größere Perspektive, in die der Krieg die Dinge rückte.
Er trank ab und zu ein Bier, mehr nicht. Ray blieb im Haus vor dem Fernseher, und das war allen sehr recht, er kam nur, wenn er etwas wollte, und das war oft, an die Windschutztür gerollt und polterte so lange ans Glas, bis Denise oder Patty oder Kathryn aufstanden und erledigten, wonach er verlangte. Schlimmer als ein Kleinkind, fand Kathryn und konterte Pattys Hinweis, dass er wenigstens keine Windeln brauche, mit der Warnung: Bring den bloß nicht auf Ideen . Billys Besuch hatte sich herumgesprochen, ein paar Nachbarn brachten Kuchen und Aufläufe vorbei, als hätte es einen Todesfall in der Familie gegeben. Mr und Mrs Wiggins von der Kirche. Opal George von gegenüber. Die Kruegers. Wir sind ja so stolz. Wir haben es immer gewusst. So tapfer, so gesegnet, so eine Ehre. Edwin! , hab ich aufgeschrien, komm schnell! Billy Lynn ist im Fernsehen, der hebt da ein ganzes Al-Qaida-Drecksnest aus! Nette Leute, aber sie fanden kein Ende, und wie sie glühten für den Krieg! Sie waren wie verwandelt, sobald sie über den Krieg redeten – die Augen fielen ihnen fast aus dem Kopf, die Hälse waren kurz vorm Platzen, die Stimmen wurden blutrünstig heiser. Billy staunte immer wieder über sie, derart freibeuterische Gelüste in diesen guten Christenmenschen, aber vielleicht war es ja auch nur ihre Art, höflich zu sein und zu demonstrieren, wie sehr sie ihn schätzten. Also lächelte er sein Bescheidener-Held-Lächeln und hoffte, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher