Die irre Heldentour des Billy Lynn
gesessen, sein Vater war Dealer und hatte auch gesessen. Cracks Mutter war, als er elf war, mit dem Hilfspastor ihrer Kirche durchgebrannt. Shroom hatte kaum so etwas wie eine Familie. A-borts Vater galt im Staat Louisiana als Musterexemplar des Alimenteflüchtlings, und Sykes Vater und Brüder hatten beim Methkochen das ganze Haus abgefackelt.
Ja, die Familie hatte eine Schlüsselrolle, beschloss Billy. Und wenn man wüsste, wie man mit einer Familie leben kann, wäre man einen großen Schritt weiter auf dem Weg zum eigenen Frieden, aber um das herauszufinden, um das zu wissen, brauchte man eine Strategie. Nur, woher kriegte man die? Mit schlichtem Älterwerden war es offensichtlich nicht getan. Vielleicht half Lesen, aber Bücher dauerten so lange, und in der Zwischenzeit saß einem das Ding ständig weiter im Nacken. Wer hatte verdammt noch mal Zeit für Bücher, wenn gewalttätige animalische Kräfte im Spiel waren? Am Morgen nach dem elften September hatte Ray im Radio zur »atomaren Säuberung« gewisser Hauptstädte im Nahen Osten aufgerufen und »Bomb Bomb Iran« von Vince Vance and the Valiants und die »Ballad of the Green Berets« gespielt. Billy weiß noch genau, dass er damals gedacht hatte: Funktioniert das wirklich so? Etwas Schreckliches war passiert, das hieß aber nur, dass noch mehr und noch schrecklicherer Terror kommen würde, als müsste das nicht bloß automatisch, sondern geradezu unabdingbar so sein. Seitdem haben die Tage und Wochen danach in Billys Leben eine prophetische Aura. Er glaubt, dass er das Schicksalhafte daran schon damals geahnt hat – Krieg stand bevor, er war für den Krieg bestimmt, und irgendeine okkulte unaufhaltsame Vater-Sohn-Dynamik sorgte dafür, genau das sicherzustellen. Wenn der Vater Krieg liebt, wie kann sich derSohn raushalten? Selbst wenn sich die Liebe zum Krieg nicht unbedingt in Liebe zum Sohn übersetzen würde.
Whhhhiiiirrrr , halt. Whhhhiiiirrrr , halt. Was macht der denn da? Ray hielt bei den Blumen an, die vor dem Zaun wuchsen, ein Beet puderblauer Pusteblumen auf dünnen langen Stielen. Bluemist-Sowieso hießen sie – Billy hatte seine Mutter morgens danach gefragt, als er und Brian an den Blüten siebzehn Monarchfalter gezählt hatten. Die Monarchen zuckelten schon den ganzen Tag durch den Garten, sie nahmen noch schnell einen Imbiss in den Bluemist-Sowiesos, bevor sie südwärts nach Mexiko weiterzogen. Ray zündete sich wieder eine Zigarette an und sah rauchend den herumflatternden Monarchen hinterher. Billy hatte nie erlebt, dass sein Vater auch nur eine Minute mit Naturbetrachtungen verschwendet hätte. Dieser Mann hatte zur Natur dieselbe Beziehung wie ein Fleischfresser zu seinem Steak, jetzt saß er ganz still da und beobachtete Schmetterlinge, und Billy spürte etwas wie eine Öffnung, oder zumindest ein Potenzial oder eine Möglichkeit dafür, etwas, das ihn auf sich selbst zurückwarf. Aber mit dem Gefühl kam auch eine leise Verzweiflung. Wüsste er überhaupt, was er tun sollte, falls es tatsächlich eine Chance gäbe? Falls irgendetwas, noch so winziges Gutes zwischen ihnen passieren könnte und sie dann beide nicht fähig wären, es zuzulassen, also, das wäre verdammt beschämend, vielleicht sogar tragisch, denn dies war doch womöglich ihr letzter gemeinsamer Tag. Dann knallte wieder die Tür, Rrummsss , nicht ganz so laut, und Brian kam über die Veranda geschlurft.
»Heh, Billy«, zwitscherte er so herzig-sachlich, dass Billy lächeln musste. Er hoppelte durch den Garten und kletterte hinten auf Rays Rollstuhl. Der alte Mann lächelte, drehte ein paar Kurven, und dann ratterten sie gemeinsam durch den Garten. »Mach, dass er hüpft!«, kreischte Brian. Ray riss den Joystick nach hinten, rammte ihn wieder nach vorn, der Rollstuhl bockte, bäumtesich ein paar Zentimeter auf. Das Ding machte allerhöchstens fünf Stundenkilometer, aber irgendwie holte Ray einen Satz nur auf den Hinterrädern aus ihm raus. Brian quiekte, wollte mehr, mehr, und ab ging’s in eine große Schleife, rumpelnd und bockend, Ray zockte dem Rollstuhl alles ab, was in ihm steckte, und Brian hockte hinter ihm und lachte sich scheckig. Langsam kam die Schleife auf Billy zu, und später, wenn er daran denkt, wird er sich erinnern, dass er gelächelt hatte, nicht einfach nur aus Vergnügen, sondern mit einem ganz bestimmten Gefühl gegenüber seinem Vater. Wenn er später darüber nachdenkt, weiß er, dass er gehofft hatte, es könne doch etwas wie Den Moment für
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