Die irre Heldentour des Billy Lynn
Hollywoodhaien schwimmen, der wird mit so einer Dallas-Meute selbst im Kopfstand fertig, Billy konzentriert sich lieber auf Dime, seine Art zuzuhören, seine Haltung, wenn er ab und zu ein Wort einwirft. »Guck ihn dir an«, hatte Shroom immer gesagt. »Guck ihn dir genau an und lern daraus. Davey ist gespenstisch. Der kann im Dunkeln sehen.« Laut Shroom ist diese blitzartige Intuition Dimes besondere Gabe, die hatte er schon mitgebracht in den Krieg, aber richtig entfalten konnte er sie nur dadurch, dass er sich selbst immer wieder aufdie Probe stellte, indem er sich darauf verließ. Die Aufständischen konnten kaum Amerikaner töten, solange die Soldaten im Feldlager blieben; die Kehrseite war, dass die Amerikaner umgekehrt Aufständische auch nur außerhalb der Feldlager aufspüren und töten konnten, was aus dem Alltagsgeschäft – Patrouillenfahren und Checkpoints und Häuserdurchsuchen – eine Übung in Nervenverschleiß machte. Das war Dimes Art der Kriegsführung, und er zwang sie alle, die zu akzeptieren. Die Bravos stiegen öfter aus ihren Humvees als irgendein anderes Team des Zugs, wahrscheinlich sogar des ganzen Bataillons. Wo immer sie gerade waren, befahl Dime Absitzen und ein paar Kilometer Fußmarsch, mit den Humvees im Kriechgang ein Stück hinter sich. »Beim bloßen Rumhocken in der Scheißkiste kriegt man nichts mit«, war seine Erklärung. Das reinste Glücksspiel, diese kleinen Ausflüge, man konnte locker dabei draufgehen, aber mit genau der Methode sammelte Dime Kenntnis, Instinkt und Erfahrung für den Tag, an dem wirklich alles und jeder auf dem Spiel stehen würde.
Den Bravos gefiel das gar nicht. Meistens hassten sie Dime, wenn er sie wieder mal raus auf die Straße schickte. Es schien so sinnlos, ein Risiko, das in keinem Verhältnis zum möglichen Gewinn stand, aber wenn jemand meckerte, sagte Shroom nur, er solle die Klappe halten und seine Arbeit machen. Also stiegen sie aus den Humvees, stapften über Märkte, latschten Straßen entlang, gingen in irgendwelche zufälligen Häuser und suchten nach etwas, das da vielleicht zu finden war. Eines Tages stehen sie auf einer Straße, und ein Grüppchen Jungen nähert sich, vierzehn, vielleicht fünfzehn Jahre alt, Gauner in spe mit Oberlippenflaum und nicht viel mehr als Lumpen am Leib. »Mister«, rufen sie und kommen auf die Bravos zustolziert, »gib mir meine Tasche! Gib mir meine Tasche!«
»Was soll’n der Scheiß?« Dime starrt sie an.
»Ich glaub, die wollen Geld«, sagt Shroom und dreht sich fragend zu Scottie. Er war damals der Bravo-Dolmetscher, Scottie hieß er wegen seiner Ähnlichkeit mit Scottie Pippen, dem früheren Star der Chicago Bulls. Er redet mit den Jungen.
»Ja, sie wollen Geld. Sie sagen, sie haben Hunger, und sie bitten euch um Geld.«
»›Gib mir meine Tasche ‹?«, lacht Dime.
»Yes! Yes! Mister! Gib mir meine Tasche!«
»Nein, nein, nein, das ist doch für’n Arsch, so heißt das nicht. Sag ihnen, ich bringe ihnen gern bei, wie das richtig heißt, aber Geld kriegen sie nicht von uns.«
Scottie erklärt es den Jungen. Yes!, rufen sie. Yes! Okay yes!
Also veranstaltet Dime mitten auf der Straße einen kleinen Englischkurs. »Gib mir Geld.« Wiederholen. Gib mir Geld. »Gib mir fünf Dollar.« Gib mir fünf Dollar. »Gib mir fünf Dollar, du Arsch!« Gib mir fünf Dollar Duaaasch! »Danke!!« Danke!! »Schönen Tag noch!!!« Schöntaaaknoch!!! Die Jungen lachen. Dime lacht. Die anderen Bravos lachen auch, lachend observieren sie Dächer und Haustüren, Gewehr im Anschlag.
»Thank you!«, rufen die Jungen nach dem Unterricht, und einer nach dem anderen schüttelt Dime mit großer Geste die Hand. »Danke! Mister! Danke! Gib mir Geld!« Dann ziehen sie blökend die Straße wieder hinunter: Gib mir Geld! Gib mir fünf Dollar! Gib mir fünf Dollar Duaaasch!
»Wow«, sagt Shroom gedämpft, leicht bebend vor New-Age-Gefühligkeit, »Dave, das war ja wunderschön, Mann. Das war was Wunderschönes, was du da gemacht hast.«
Dime zieht Rotz hoch, dann lädt er sein Timbre mit Schmalz auf. »Na, du kennst doch den Spruch. Schenk jemandem einen Fisch, und er hat einen Tag was zu essen. Bring ihm Angeln bei, und – «.
» – er hat sein Leben lang was zu essen «, ergänzt Shroom.
Mit der Zeit hatte Billy diese Art von Humor als eine weitere Facette seiner Ausbildung in den Gefilden des globalen Schwachsinns begriffen. Plötzlich spürt er Shrooms Verlust scharf wie eine Schusterahle in den Eingeweiden und
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