Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
gab ihm den Namen Peluquería El Nuevo Sansón, und die Eröffnung versetzte das Viertel in Aufruhr. In den ersten Tagen erhielt Conrad einige anonyme Briefe, in denen man ihm androhte, ihn zu skalpieren, so wie es in den John-Wayne-Filmen die Indianer mit den Bleichgesichtern machten. Der alte Eigentümer des Salons, der sich wie ein ausgesetztes Kind gebärdete, weil er keinen Friseur mehr fand, der ihn adoptieren wollte, zeterte laut über den »Verrat an der Geschichte« und verlangte sein Foto mit Widmung zurück. Der Rektor der Gemeinde del Carme im Carrer Sant Antoni – eine Krähe im Dienst von Francos Movimiento – trat eines Tages mit angewidertem Gesicht in den Laden und klärte Conrad darüber auf, dass sein Geschäftsname eine Ketzerei sei und dass ihm dafür möglicherweise sogar ein Kirchenbann drohe. Im Gegenteil, argumentierte Conrad, er habe den Bezug auf den biblischen Samson als eine Verneigung vor den Lehren der Heiligen Schrift gemeint; und es gelang ihm, den Priester für sich einzunehmen, indem er versprach, den Jesus und die Jünger bei der Osterprozession kostenlos mit Perücken auszustatten.
Getrieben von dem Bedürfnis, jede Spur von Martí zu tilgen, hatten Conrad und seine Mutter den alten Salon von oben bis unten umgestaltet. Die abgeschnittenen Haare, die zuvor den Fußboden bedeckt hatten, schienen nun jeden Winkel des Raums zu besiedeln. Perücken im Schaufenster, wo sie die Puppenhäupter krönten, als seien es Königsbüsten, Perücken in den Regalen, Perücken auf dem Arbeitstisch, wo sie zurechtgebürstet wurden; Perücken in allen Größen, goldene Löckchen, tiefschwarze Mähnen, oder schlohweiße Schöpfe, mit Talk gepudert. Das Einzige, was Mutter und Sohn nicht ganz hatten beseitigen können, war der schwere Duft des falschen Floïds, der seit dem Todesfall in den Wänden hing. Und trotz der Änderungen kam es vor, dass alte Kunden in den Laden traten und nach Martí fragten. Im Schutz der Perücken hatte sich Conrads Persönlichkeit gefestigt, und er duldete solche Rückfälle in alte Zeiten nicht. Also reckte er das Haarteil, mit dem er gerade beschäftigt war, in die Höhe wie ein guillotiniertes Haupt – oder wie Delila Samsons Schopf – und scheuchte den Störenfried mit schriller Stimme hinaus: »Hier wird niemand seine Haare los! Nein, hier verkaufen wir Haare!«
In jener Stadt aus Ruß und Schmutz, im erniedrigten und verängstigten Barcelona der Fünfzigerjahre, betrachteten die meisten Leute El Nuevo Sansón als eine Extravaganz, die gewiss bald den Rollladen für immer herunterlassen würde. Doch gerade, als er den Glanz des Neuen verlor und nicht mehr jedem ins Auge sprang, als er, wie vormals der Friseursalon, im Gewimmel dieser Gegend aufging, gerade da begann der Laden zu laufen. Conrad legte im Umgang mit den Kunden eine leicht schmierige Freundlichkeit an den Tag, und nach kurzer Einschätzung, ob er einen eher schüchternen oder einen eher selbstgefälligen Kandidaten vor sich hatte, ließ er sogleich eine seiner Maximen vom Stapel.
»Ich sage immer: Jede Perücke in diesem Geschäft hat einen Kopf, der auf sie wartet.«
»Es ist doch so: Wir sind nicht dafür gemacht, mit ungeschütztem Schädel durch die Welt zu laufen.«
»Ganz gleich, wie man es betrachtet: Eine Perücke macht was her.«
Eines Oktobermorgens wurde der Requisitenchef des Teatre Romea im Laden vorstellig, um Perücken und falsche Bärte zu kaufen, denn zu Allerheiligen gab man den Don Juan Tenorio . Die Leute vom Romea waren nachher des Lobes voll, und so verbreitete sich Conrads guter Ruf in der Theaterlandschaft. Auch die Häuser an der Paral. lel wurden zu Stammkunden. Dieselben Varietéhelden, die sich vormals bei Martí die Spitzen hatten schneiden lassen, erschienen nun, etwas abgehalfterter, wieder und fragten im Flüsterton, als ginge es um Schmuggelware, nach einem Haarteilchen, mit dem sie die entstehende Lichtung auf ihrem Hinterkopf vertuschen könnten. Und dieselben Diven, denen Conrad und seine Freunde hinter dem Arnau oder dem Molino nachgestarrt hatten, kamen nun, um Haarverlängerungen für einen Auftritt als Königin von Saba – umschwärmt von lauter Salomons in hauchdünnen Tuniken – zu kaufen oder für die Rolle einer keuschen Walküre, die ihren Atombusen mit ihrer hüftlangen blonden Mähne verhüllte, während sie ein anzügliches Couplet zugrunde richtete. Mit zitternden Fingern kämmte ihnen Conrad Manley vor dem Spiegel die Extensionen und zwang
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