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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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sich, einen kühlen Kopf zu bewahren, doch was er dann am Samstag auftrumpfend seinen Freunden erzählte, hörte sich an wie eine echte Revuenummer. Dolors, die ihm nachmittags im Laden half, sah ihn mit den Mädchen, erriet seine unzüchtigen Gedanken und versuchte sie ihm, wenn sie wieder mit ihm allein war, auszutreiben: »Wenn du meinen Rat hören willst, Junge, lass dich nie mit so einer ein. Was kannst du von einer Frau erwarten, die erst mittags aufsteht und zum Frühstück Sekt trinkt!«
    »Wie du meinst, Mutter, aber du weißt, der Kunde hat immer recht.«
    Conrad hatte inzwischen gelernt, dass sich hinter der kapriziösen Fassade ganz normale Mädchen verbargen, oft von eher schlichtem Gemüt, einfach im Umgang und jederzeit bereit, in ein Gekicher auszubrechen. Sie stammten aus Orten wie Úbeda, Ponferrada oder Albarracín, und was an ihnen mondän wirkte, war bloß eine Schutzhülle.
    Die Warnungen der Mutter jedenfalls nutzten nichts: Conrad landete in den Fängen einer blutjungen Formationstänzerin. Das Mädchen hieß Leonor Carratalà und nannte sich Leo – »eine Löwin, die ihren Dompteur sucht«, wie sie gerne verkündete. Sie war aus Alcoi in Valencia gekommen, um ein Star der Paral. lel zu werden, und ihr Vater besaß ein Hutgeschäft, was Conrad für eine schicksalhafte Fügung hielt.
    »Bekanntlich schließen Perücke und Hut ein unzerstörbares Bündnis. Nichts geht über einen guten Panama, eine Pamela oder einen Zylinder, um die Stabilität einer Perücke zu sichern.« So sprach er zu seiner Mutter an dem Tag, da er ihr Leo vorstellte.
    Die beiden turtelten einige Monate unter Dolors’ wachsamen Augen. Der Mutter graute vor dem Moment, in dem sie die Knochen ihres von der Löwin verschlungenen Sohns würde einsammeln müssen. Aufatmen konnte sie erst, als Conrad und Leo ihr endlich sagten, dass sie heiraten wollten. Leo ließ die Bühne, die Boas und die Choreografien hinter sich – wie sich herausstellte, hatte sie dort eh kein großes Talent gezeigt – und sparte sich die Kabarettmetaphern für die Nächte im Ehebett auf.
    Die Fotos von den beiden, die Rita noch besitzt, wirken verschroben und lustig. Ein x-beiniger kleiner Mann mit angespannter Körperhaltung, dem die Perücke wie eine fliegende Untertasse auf dem Schädel thront, neben dieser kräftigen hübschen Frau mit gutmütigem Blick, die ihn um eine Handspanne überragt. Sie wären als Doubles von Agent Maxwell Smart und seiner Partnerin durchgegangen.
    »Guter Vergleich. Mein Vater war ein Spinner und meine Mutter ein naives Ding, das nach seiner Pfeife tanzte.« Sagt Rita, wenn ich sie dazu dränge, die Fotos mit mir anzuschauen. »Sie verkauften bloß Perücken, aber sie bildeten sich wer weiß was ein. Sie hatten keinen Boden unter den Füßen. Mein Vater sagte, er habe sich in meine Mutter verliebt, weil sie wie Hedy Lamarr aussah, die damals in einem Film die Delila spielte. Als hätte er selbst auch nur die geringste Ähnlichkeit mit Victor Mature gehabt! Phasenweise konnte einem seine Leichtfertigkeit schon Spaß machen, aber ich versichere dir, es gab Zeiten, da war es selbst für ein verzogenes Kind wie mich nicht auszuhalten mit ihm. Vielleicht waren die beiden wirklich füreinander bestimmt. Vielleicht hat es deshalb seinen Sinn, dass sie zusammen gestorben sind.«
    In solchen Momenten kommt mir meine Mutter vor, als wäre sie im Oktober 1967 hängen geblieben und als hätte sie seitdem ihr Leben lang nicht gewusst, wie es weitergehen sollte. Sie scheint immer noch in ihrem rebellischen Jugendzimmer auf dem Bett zu liegen, so wie wir sie vorhin sahen, in der Garbo blätternd. Rita Manley Carratalà schlägt die Seiten um, ohne sie wirklich zu betrachten, ihre Eltern packen die Koffer. Und während sie sich nun verabschieden, Christofs, können wir rasch die Leerstelle der ersten sechzehn Lebensjahre von Rita füllen. (Die Christofs nicken eifrig, das soll ironisch sein.) Also.
    1950: Conrad und Leo heiraten in der Kirche Del Carme. Drei Tage zuvor hat Leo zum letzten Mal bei einer Aufführung im Teatre Victòria getanzt, und zwar bei der Revue Locuras del amor.
    1951: Neun Monate nach der Hochzeit kommt Rita zur Welt, sie wurde zweifellos in einem Hotel in Peníscola gezeugt. Tödliche Koinzidenz: Eine Woche später stirbt meine Urgroßmutter Dolors (in der Dusche ausgerutscht).
    1953: Der Perückenverkauf läuft prächtig. Meine Großeltern kaufen neue Möbel fürs Esszimmer. Sonntagabends speisen sie im

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