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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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Weiterentwicklung der hervorstechenden Merkmale. Nase, Ohren, Mund …«
    »Ich weiß schon, er wird aussehen wie ein Häftling.«
    »Jedes Phantombild sieht aus wie von einem Häftling.«
    Christophe hatte nun wirklich genug, und um uns zum Schweigen zu bringen, riss er den Umschlag auf.
    Da saßen wir also, schwer beeindruckt. Das war er und das war er nicht. Wir starrten auf das Gesicht aus dem Computer, es faszinierte uns, wie wir darin Gabriel wiedererkannten, doch zugleich fanden wir die Nähe unangenehm. Er war es, ja. Bestimmt sah er nun so aus. Das Programm hatte nicht nur seine Züge altern lassen, sondern es auch geschafft, ihm einen zerstreuten Blick zu geben – einen Blick von genau der ausweichenden Wärme, an die wir alle vier uns aus unserer Kindheit erinnerten. Und wie er uns nun vom Papier ansah, konnte man meinen, die Situation tue ihm leid.
    Wir machten Kopien von dem Porträt. Dann kehrten wir in die Wohnung zurück (wo wir alles so vorfanden, wie wir es am Abend hinterlassen hatten), nahmen einen Stadtplan zur Hand und teilten uns das Viertel auf. Die streng rechtwinklige Anlage des Eixample erleichterte uns die Arbeit. Es ging darum, in allen Geschäften und Bars zu fragen, ob jemandem der Mann auf dem Bild bekannt vorkomme. Mit einiger Wahrscheinlichkeit war Gabriel in den letzten Tagen durch diese Straßen gelaufen und dabei gesehen worden, und selbst vage Hinweise konnten für uns hilfreich sein. Wir gingen vor der Haustür auseinander und hatten ausgemacht, uns zwei Stunden später ebendort wieder zu treffen.
    »Uhrenvergleich!«, rief Cristòfol noch. Wir benahmen uns wie Kinder und fühlten uns wie Detektive.
    Die meisten Leute, die wir fragten, sahen sich das Porträt an und sagten Nein, das Gesicht hätten sie noch nie gesehen. Wir baten sie, genau zu überlegen und es sich mit einem Körper vorzustellen: ein großer, schlanker Mann um die sechzig, von eher verschlossener Art. Vielleicht hatte er sich vor Jahren öfters im Laden blicken lassen, vielleicht war er kürzlich einmal vorbeigekommen. Manche grübelten ein wenig nach, um uns einen Gefallen zu tun, sagten dann aber auch Nein. Wenn sie merkten, dass sie einen Ausländer vor sich hatten, fingen einige an, Fragen zu stellen: Ist er ein Terrorist? Hat man ihn umgebracht? Ist er verschwunden? Sind Sie von Interpol?
    Doch nicht jede Befragung verlief ergebnislos. Ein Kioskbesitzer am Passeig de Pujades, Ecke Carrer Nàpols, mit dem Chris sprach, erkannte in unserm Vater einen alten Kunden. Immer samstags und sonntags hatte er dort die Zeitung gekauft. Nur die Zeitung? Nein, eine Zeit lang auch einen Englischkurs von der BBC in Heftchenform (Chris musste lächeln), aber nach ein paar Monaten hatte er damit wieder aufgehört. Seit wann er nicht mehr vorbeigekommen war? Seit einem Jahr, vielleicht sogar länger. Der Mann bot an, das Porträt an seinem Kiosk auszuhängen, doch wir entschieden uns dagegen.
    In einer schmierigen Bar im Carrer Sardenya, die sehr passend Carambola hieß, stieß Cristòfol auf die vielversprechendste Spur: ein Mysterium. Als er mittags eintrat, hatten sie gerade geöffnet, und es war noch keine Kundschaft da. Hinten im Raum saßen zwei kleine Mädchen vor einem Fernseher und schauten einen Zeichentrickfilm. Ein Kellner füllte die Kühlschränke auf. Der Wirt stand auf die Theke gestützt und blätterte in einer Sportzeitschrift. Er sah übernächtigt aus, mit dunklen Ringen unter den Augen. Cristòfol zeigte ihm das Bild. Da schnaubte er wie ein Pferd und verzog das Gesicht, sodass der Zahnstocher, den er zwischen den Lippen gehabt hatte, zu Boden fiel.
    »Der kam vor längerer Zeit immer freitagabends. Traf sich mit ein paar anderen zum Kartenspielen. Das ging dann bis in die Puppen. Sie fingen mit niedrigen Einsätzen an, aber nach und nach wurden ihnen die Taschen heiß.«
    An dem Mann auf dem Bild, fuhr der Wirt fort, erinnere er sich vor allem, weil er beim Spielen eine sehr eigentümliche Haltung eingenommen habe: kerzengerade und feierlich. Verschwunden war er dann ganz plötzlich.
    »Falls er noch am Leben ist, steckt er garantiert in Schwierigkeiten. Sie suchen ihn, oder? Ich wusste, das würde ein böses Ende nehmen. Diese übertriebene Art, zu spielen … So einer landet entweder im Knast, oder sie machen ihn fertig.«
    Er schwieg, als hätte er alles gesagt, aber dann fügte er noch nachdenklich hinzu: »Wobei, gewinnen konnte er, der Schweinehund.«
    Und ohne zu verhehlen, dass er nun keine

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