Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
Vom Netzwerk:
der Ziege lächerlich vor, und sie eilte die Treppen wieder hinab. Von nun an hielt sie Wache vor dem Haus, auf der Straße.
    Es ist bedauerlich, dass sie an jenem Abend angesichts des Ziegenorakels die Pension nicht betrat. Dass ihr der Mut fehlte oder ihr Respekt zu groß war. Hätte sie es getan, hätte geklingelt und nach Herrn Serafí Bundó gefragt, so hätte sie sich einen Teil der Ängste, Tränen, Ohnmachtsanfälle und Missverständnisse ersparen können, die sie danach, nämlich vom folgenden Tag an, zu erleiden hatte. Auf die eine oder andere Weise hätte sie sich im Gespräch mit den redseligen Pensionisten die Dinge schon zusammengereimt. Aber sie tat es eben nicht. Ein Anflug von Ängstlichkeit inmitten ihres Wagemuts – eine Konstante in ihrem Leben – ließ sie unverrichteter Dinge kehrtmachen.
    Während Rita also mit der heimlichen Erregung einer Mata Hari das Balkonfenster von unten bewachte, hielten sich die Protagonisten in einem weniger traditionsreichen Viertel Barcelonas auf. Es hätte gereicht, wenn sie sich an Frau Rifàs Fersen geheftet hätte, als diese eilig das Haus verließ. Sie wäre mit ihr in einen Bus gestiegen und hätte die Stadt bis in die Via Favència durchquert. Danach wäre sie dem unsicheren Schritt der Dame (es war ihr erster Besuch in dieser abgelegenen Gegend) bis zu Bundós Wohnung gefolgt.
    Am Morgen, als Gabriel endlich die Zollstation hinter sich hatte und mit der falschen Tasche aus der Halle trat, erwarteten ihn Herr Casellas und Rebeca, die Sekretärin. Casellas, der eine schwarze Binde um den Unterarm trug, gab ihm die Hand und betonte, in diesen schweren Stunden habe er ihn persönlich empfangen wollen. Anschließend drückte er ihm in vier Floskeln sein Beileid aus, wobei man ihm zugutehalten muss, dass er sich als anständiger Katholik zumindest Mühe gab, aufrichtig zu wirken. Rebeca umarmte Gabriel und brach in Tränen aus. Es waren echte Tränen, denn sie hatte Bundó immer als Seelenverwandten betrachtet: sanft und weich wie ein Plüschbär, ein Verbündeter inmitten dieses Haufens ungehobelter Männchen.
    Ein Taxi brachte sie in die Via Favència. Der Leichenwagen, erklärte Herr Casellas, müsse dort bereits eingetroffen sein. Das Bestattungsinstitut habe den Auftrag gehabt, Bundós Leichnam umzubetten, in einen Sarg von besserer Qualität als den vom Konsulat in Deutschland, bezahlt von La Ibérica in Anerkennung für seine Jahre im Dienst der Firma.
    Gabriel, weiter in seinem Leid versunken, antwortete kaum und ließ alles geschehen. Mit jeder neuen Etappe dieses Albtraums blieb weniger von seinem eigenen Willen übrig. Der einzige Moment, in dem er sich bemühte, stark zu sein, war, als sie Bundós Wohnung betraten. Am selben Morgen war Carolina mit dem Zug aus Frankreich eingetroffen. Seit einer halben Stunde – seit sie Bundó hereingebracht hatten – saß sie erstarrt neben dem Bett, auf dem der Körper ihres Liebsten zur Totenwache aufgebahrt lag.
    Christofs, nun müsst ihr euch das Drama vorstellen, das zu rekonstruieren mir ein Graus ist. Denkt euch – das ist ja leicht – die Blumengebinde, den betäubenden Duft der Chrysanthemen, die betretenen Gesichter, das Schulterklopfen der Arbeitskollegen, die Hände in den Hosentaschen, weil man nicht weiß, wohin damit. Denkt euch die tief empfundenen pathetischen Worte Tembleques, der seit dem Vorabend unentwegt Sol y sombras auf Bundós Wohl gekippt hatte. Denkt euch die ungelenken Gespräche, um die Stille zu überdecken, die Anekdoten, viel zu feierlich und bedeutungsschwanger geflüstert, um Bundós ansteckender Fröhlichkeit gerecht zu werden. Denkt euch Frau Rifà, die Gabriel zu trösten versucht wie eine große Schwester und Carolina wie eine Mutter. Denkt euch Petroli, erschüttert und verstört, auch er gerade erst aus Deutschland angekommen; wie er Herrn Casellas ausweicht, um nichts erklären zu müssen, und wie er mit Gabriel unter vier Augen reden will; stellt ihn euch wie einen begossenen Pudel vor, untröstlich, von Schuldgefühlen gebeutelt (»Ich hätte am Steuer sitzen müssen … er würde noch leben …«). Denkt euch schließlich, wie alle wieder gingen, wie unser Vater und Carolina allein in der Wohnung zurückblieben, wie sie im Dunkeln saßen, kein Licht machten und über Bundó sprachen, als könnte die Erinnerung eine Arznei gegen all die Traurigkeit sein. Keine zwei Monate war es her, dass er hier mit ihnen beiden und Mireille Weihnachten gefeiert hatte und sein Lachen

Weitere Kostenlose Bücher