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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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Verhalten bitte nicht mit einer psychotischen Phase verwechseln. Um zu zeigen, was ich meine, sei klargestellt, dass Gabriels Versenkung bisweilen, wenn es ihm so passte, eher mental war als körperlich. Zwar verließ er das Haus oft tagelang nicht, doch das war kein Dogma und machte auch keinen Kartäuser aus ihm. Wenn ihm die Vorräte ausgingen, brachte er eine Vormittagsstunde damit zu, auf der Bank Geld abzuheben, im Lädchen an der Ecke Lebensmittel und im Tabakladen Zigaretten zu kaufen. Auf einer dieser Expeditionen, als sein Rückzug gerade zwei Wochen her war, suchte er sich eine Telefonzelle und rief bei La Ibérica an. Er war zwar noch krankgeschrieben, aber sagte zu Rebeca, er sei entschlossen, zu kündigen. Die Sekretärin ersparte ihm das Gespräch mit dem Chef und riet ihm, sich Zeit zu lassen; man würde in Ruhe darüber reden, wenn er den Gips los wäre und er wieder arbeiten könnte. Er willigte ein, unter der Bedingung, dass sie niemandem verraten würde, wo er war. Niemandem. Rebeca spielte mit: »Du wohnst doch noch in der Pension, oder? Eins dieser Häuser, wo die Leute ein und aus gehen und nichts erklären müssen …«
    Es heißt, die Vergangenheit sei ein fremdes Land, in dem die Dinge anders gemacht werden als bei uns. Christofs: Dieser Satz lässt sich wortwörtlich auf unsern Vater während der Zeit seiner Zurückgezogenheit anwenden. Bundó, Petroli und die Umzüge mit dem Pegaso waren seine Hauptverbindung mit der Welt gewesen. Lebendig zu sein hieß für ihn, sich hin und her zu bewegen, die unvermittelte Freiheit zu genießen, wenn sie die Grenze hinter sich hatten, den Zeitplan über den Haufen zu werfen, damit er seine drei Söhne und deren Mütter besuchen konnte. Der Unfall zerstörte ihm all das mit der unerträglichen Schnelligkeit des Schmerzes. Plötzlich alleine in Barcelona, zur Reglosigkeit gezwungen, sah er, wie ihm die Gegenwart zerfloss. Ihr und eure Mütter verwandeltet euch in ein Kapitel der Vergangenheit, ein Knäuel von Beziehungen, viel zu kompliziert, als dass man es aus der Ferne und ohne jemanden wehzutun hätte zurechtstricken können. Und an dieser Stelle erhebt sich, denke ich, der größte Vorwurf, den wir unserm Vater machen müssen: War er wirklich so unbewusst, so unbedarft, dass er das nicht hatte kommen sehen? Glaubte er wirklich, dieses Liebesrondell hätte sich ewig weiterdrehen können, spürte er nicht, dass es irgendwann aus dem Gleichgewicht geraten und zusammenfallen musste wie ein Kartenhaus? Der Einzige, der uns diese Fragen beantworten könnte, wäre er selbst. Ohne ihn in Schutz nehmen zu wollen, ist es allerdings wahrscheinlich, dass er sich zu sehr auf unsere Mütter verließ: jung und frei, auf eine Weise unabhängig, die im franquistischen Spanien noch überhaupt nicht gerne gesehen wurde. Es ist ebenfalls anzunehmen, dass er sich inmitten seiner Einsamkeit nach der familiären Geborgenheit mit Sigrun und Christof oder mit Sarah und Christopher oder mit Mireille und Christophe sehnte … Aber das hätte natürlich bedeutet, sich für eine Familie entscheiden zu müssen, und dazu war er nicht fähig.
    Im Licht dieser Einschätzungen muss es uns nicht verwundern, dass Gabriel sich in der Via Favència einschloss. Mit Carolinas Verzicht war die Wohnung zu einem Niemandsland geworden, zu einer einsamen Insel für einen selbstbestimmten Robinson. Die Visionäre werden sagen, dass sich Gabriel von seiner Isolation irgendeine Art der Erleuchtung versprach. Sie täuschen sich. An diesem Ort kann sich die solitäre Eintönigkeit weder aufstauen noch brackig werden, eben weil sie mit keinem Ziel verbunden ist. Die einzig mögliche Erleuchtung ist die alltägliche: die Sonne, die aufgeht, die Sonne, die untergeht, ein weiterer Tag, der verstreicht.
    Wie gesagt, wissen wir wenige Einzelheiten über das Exil unseres Vaters. Bestätigen können wir zum Beispiel, dass es sich in einen frühen Fall von Fernsehsucht verwandelte. Bundó hatte sein Weihnachtsgeld bei Pont Reyes in einen Philips-Fernseher investiert, ihn auf ein Rolltischchen im Esszimmer gestellt und dann zu Füßen des Geräts die Krippe aufgebaut. Anders als Bundó zeigte Gabriel lange Zeit nicht das geringste Interesse am Fernsehen. Nie hatte er länger als eine halbe Stunde geschaut, ohne sich tödlich zu langweilen. Das Äußerste war, dass er sonntagabends, wenn er im Café Principal ein Bier trank, aus dem Augenwinkel eine Fußballübertragung verfolgte. Er war eher fürs Radio zu

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