Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
haben, da hörte er Nachrichten, Sportsendungen und die Nachtserie. Frau Rifà war genauso. Sie hatte sich stets geweigert, einen Fernsehapparat für die Pension anzuschaffen, sie fürchtete, die Bewohner würden sonst nach dem Abendessen vor der Kiste verdämmern.
So seltsam es scheint: Das erste Mal, dass Gabriel in der Via Favència den Fernseher einschaltete, war, als er furchtbar fror. In einer Dienstagnacht Ende Februar, als Barcelona unter einer Kältewelle litt. Kurz bevor es dunkel wurde, war er auf den Balkon getreten und hatte gesehen, dass das Thermometer schon vier Grad unter null zeigte. Auf dem Sofa im Esszimmer kauernd, mit Jacke an und einer Decke darüber, musste er an Bundós Worte gleich nach seinem Einzug denken: »Das einzig Blöde ist, es gibt keine Heizung, und es wird arschkalt da drinnen.«
Gabriel hatte den Gasheizofen den ganzen Tag angelassen und bei geschlossenen Türen im Esszimmer gesessen, doch die Wände trieften vor Feuchtigkeit, und durch die Fensterritzen drang unablässig eisige Luft herein. Die Tesamoll-Streifen brachten überhaupt nichts. Auf die Idee, den Fernseher einzuschalten, kam er, weil er die Wettervorhersage in den Neun-Uhr-Nachrichten sehen wollte. Er war überzeugt, dass eine neue Eiszeit angebrochen war, und das sollte ihm ein Meteorologe nun bestätigen. Zugleich, sagte er sich, würden der Transformator und die Bildröhre noch ein bisschen Wärme in den Raum ausstrahlen.
Der Wettermann unterrichtete die Zuschauer über die polare Strömung, der man gerade ausgesetzt sei, tröstete aber mit der Perspektive auf ein pralles Azorenhoch. Als die Nachrichten zu Ende waren, kam es Gabriel schon etwas weniger kalt vor, also entschied er sich, den Fernseher noch eine Weile laufen zu lassen. Es folgte ein bisschen Werbung, dann ein Kriegsfilm, der ihn fesselte, noch einmal Werbung und eine weitere, kürzere Nachrichtensendung. Danach erschien ein allzu seriöser Herr und verabschiedete sich vom Fernsehpublikum bis zum nächsten Morgen.
Es war Mitternacht, und Gabriel hatte alles hinuntergeschluckt, ohne sich ein einziges Mal vom Sofa zu erheben. Der Schirm füllte sich mit Schneegestöber. Und Gabriels Körper begann wieder vor Kälte zu zittern. Er begriff, dass der Fernseher ihm Gesellschaft geleistet hatte.
Nach dieser ersten Erfahrung machte er aus seinem neuen Hobby ein abendliches Ritual. Sechs Stunden täglich. Als ersten Schritt setzte er um 17.45 Uhr den Transformator in Gang. Wenn das rote Licht aufleuchtete, konnte er den Fernseher anschalten. Nach dem Testbild kam zunächst Kinderprogramm. Die Ansagerinnen mit ihren zuckrig-fröhlich verstellten Stimmen erinnerten ihn an die Spielstunden mit den Ordensschwestern in der Casa de la Caritat. Diese Sendungen schaute er sich lustlos an, als Aufwärmübung, mit der er sich die Wartezeit bis zum Spielfilm vertrieb. Ein Pferd aus dem Wilden Westen, ein Känguru, das Schabernack im Sinn hatte, Astronauten in der Weite des Alls. Der Rosarote Panther brachte ihn zum ersten Mal seit langer Zeit zum Lachen, und als er sich am nächsten Morgen seinen Kaffee machte, summte er unwillkürlich die Titelmelodie vor sich hin. Tag für Tag perfektionierte er die Rolle des Fernsehkonsumenten, passte seinen Lebensrhythmus immer mehr dem der Glotze an. Um halb acht lief Buenas tardes, eine Reportagesendung. Wenn ihm das Thema nicht gefiel, nutzte er die Zeit, um sich das Abendessen zuzubereiten. Beim Essen schaute er die tägliche Folge der Seifenoper Persuasión, und anschließend kamen schon die Nachrichten: die einzige Sendung, die er sich geradezu zwang, anzusehen, wie einen unerlässlichen Tribut. Noch mehr als die täglichen Lobeshymnen auf Franco und seine Politik regte es ihn auf, dass sie kaum je Meldungen aus dem Ausland brachten. Als existierten in dieser Schwarz-Weiß-Welt keine Länder außer Spanien.
Nie informierte er sich vorab über das Programm, sondern ließ sich gerne überraschen, welcher Film oder welche Serie spätabends ausgestrahlt wurde. Besonders genoss er den Moment, in dem die Schriftzüge über den Bildschirm flimmerten, die Musik erklang und eine männliche Stimme aus dem Off den Titel ansagte. Atormentada. Ironside. MacMillan y esposa.
An den Wochenenden wurde das Fernsehen fröhlicher. Diese Stimmungswechsel des Mediums polsterten Gabriels Routine aus. Zum Beispiel das Rugby am Samstag, »Tournier der Fünf Nationen« genannt. Auch wenn er sich mit der Logik dieses Sports schwertat, tauchte er
Weitere Kostenlose Bücher