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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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von La Ibérica bewegte. Nach Arztbesuch und Gipsentfernung kam er sich vor, als hätte er eine alte Haut abgestreift, sah sich imstande, öfter das Haus zu verlassen, sogar jeden Morgen eine Weile spazieren zu gehen – aber auf keinen Fall einen Lkw zu besteigen.
    Noch ein weiteres Ereignis desselben Tages trug, wenn wir das so sagen dürfen, zu Gabriels Erwachen bei. Ihm fiel ein, dass Bundó einmal von einer Umzugsbeute ein paar Hanteln abbekommen hatte. Anfangs hatte er sie im Pegaso aufbewahrt und auf der Fahrt, wenn er nicht gerade selbst am Steuer saß, damit Bizepsübungen gemacht, immer wieder zwanzig Mal gestemmt und laut mitgezählt.
    »Ich verliere Muskelmasse«, hatte er gekeucht, und die Freunde hatten ihn ausgelacht und entgegnet, was er verliere, sei Gehirnmasse.
    »Lass die Hanteln und trag einfach mehr Kisten, wirst sehen, was du dann für Muskeln kriegst.«
    Irgendwann war er die Spötteleien leid und nahm die Hanteln mit nach Hause.
    Gabriel suchte sie überall in der Wohnung. Er wühlte in Schränken und Schubladen, durchkämmte Bundós Habseligkeiten auf eine mechanische Weise, zwang sich dazu, sie nicht mit Erinnerungen an den Freund aufzuladen – doch die Hanteln fand er nicht. Nur noch ein Ort blieb, an dem er nicht geschaut hatte. Das Schlafzimmer. Dort mussten sie sein, er war sich sicher. Die ganze Zeit hatte er diesen Raum kein einziges Mal betreten. Auf seine Art – um dort zu überleben – hatte er es geschafft, die ganze Wohnung in ein neutrales Terrain zu verwandeln. Die ganze Wohnung außer dem Schlafzimmer. Nachdem er eine Weile darüber gebrütet hatte, griff er nach der Türklinke, holte tief Luft, wie ein Taucher vor dem Sprung ins Wasser, und trat ein. Alles war genauso wie am Tag der Beerdigung, dasselbe Halbdunkel, dieselbe vorwurfsvolle Stille. Mit raschen Bewegungen ging Gabriel neben dem Bett in die Hocke, hob die Überdecke an und blickte darunter. Ja, da lagen die beiden Handeln, verängstigt und hinter Staubflocken verschanzt. Er kannte Bundós Gewohnheiten und Macken, als wären es seine eigenen. Er barg die Hanteln, und als er damit wieder hinausgehen wollte, fiel ihm ein schwarzes Bündel ins Auge, das in einer Ecke lag.
    Er trat näher heran und erkannte im Dämmerlicht seine Tasche, die schwarze Segeltuchtasche, die er vom Flughafen mitgebracht hatte. Jemand, vermutlich er selbst, hatte sie am Tag von Bundós Totenwache hier liegen lassen. Nach der Rückkehr vom Friedhof hatte sich alles derart überschlagen, Carolinas Abfahrt, sein eigener Umzug in die Wohnung, sein Einigeln und so weiter, dass er in den Wochen seither gar nicht mehr an die Tasche gedacht hatte. Und wie er sie nun auf den Tisch im Esszimmer stellte, fiel ihm auch auf, dass er, seit er sie von dem Gepäckband genommen, nie einen Blick hineingeworfen hatte. Er meinte sich zu erinnern, was darin war, doch sie kam ihm nun schwerer vor als damals.
    Als er den Reißverschluss aufzog, verriet ihm ein muffig-süßlicher Hauch sofort, dass es nicht seine Tasche war. Die langjährige Erfahrung im Plündern fremder Gepäckstücke hatte einen Experten für unbekannte Gerüche aus ihm gemacht. Stück für Stück leerte er die Tasche und breitete den Inhalt zur Untersuchung auf dem Tisch aus. Es fand sich einiges an Herrenkleidung, von sehr guter Qualität und einst sorgfältig gebügelt. Zwei komplette Ausstattungen konnte er zusammenstellen, Hemd, Hose, Unterwäsche, diskrete Krawatte. Dazu ein Gürtel und Schuhe, beides vom selben Leder und aus britischer Herstellung. Zwei in Papier mit Kinderzeichnungen gewickelte Päckchen enthielten eine Schachtel Legosteine und eine hölzerne Wackelpuppe. In einem geschlossenen Umschlag ganz unten in der Tasche schien sich ein Stoß Papier zu befinden. Als er ihn öffnete, kamen zwei pornografische Zeitschriften zum Vorschein. Aus Schweden oder Dänemark, glaubte er. Er selbst hatte zusammen mit Bundó und Petroli auf den Reisen durch Deutschland und Frankreich so manche gekauft, doch solche Fotos hatte er noch nie gesehen. Der Sex zwischen Männern und Frauen und zwischen Frauen und Frauen erschien hier in strahlender Natürlichkeit, wie Szenen aus einem Paradies auf Erden. Er fuhr mit der Prüfung fort. Ein fein gearbeitetes Bronzefigürchen in Gestalt der kleinen Meerjungfrau bestätigte ihm, dass der Taschenbesitzer aus Kopenhagen zurückgekommen sein musste, wahrscheinlich von einer einwöchigen Geschäftsreise. Und ein Etui verriet, dass er nicht nur reich,

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