Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
nur zu gern in die englischen, französischen oder schottischen Spielfelder ein. Ihre Namen wiederholte er halblaut: Twickenham, Murrayfield … Er betrachtete die Gesichter der Spieler, rot angelaufen, schnaufend wie Stiere, und sie erinnerten ihn an manche Typen, die er getroffen hatte, als er in diesen Gegenden mit dem Pegaso unterwegs gewesen war.
Eines Abends, als er versuchte, die Lautstärke des Apparats zu regulieren, drückte er einen falschen Knopf, und ein anderes Programm erschien. Was für ein Schreck, was für ein Wunder! Es kam ihm vor, als hätte er eine Parallelwirklichkeit betreten. Dort lief ein Film, der in Paris spielte, aber die Figuren sprachen natürlich Spanisch. Dabei waren die Straßen und die Menschen der Stadt so anmutig wiedergegeben, dass in ihm die Wehmut losbrach. Gebannt blieb er sitzen, bis, wiederum um Mitternacht, der Ansager sich verabschiedete und bestätigte, was Gabriel schon geahnt hatte: Es handelte sich um den zweiten spanischen Fernsehkanal, UHF hieß er.
Von diesem Tag an wurde der Umgang mit dem Medium für ihn komplizierter. Ihm fehlte Zeit, und er musste auswählen, was ihm im Grunde gefiel. Jeden Abend erhob er sich hundert Mal und schaltete um. Bald halfen ihm diese gymnastischen Übungen dabei, wählerischer zu sein. Er gewöhnte sich die Nachrichten ab und wandte sich dem weniger vorhersehbaren Programm von UHF zu. Damit tat sich noch einmal eine andere Landschaft vor dem Fenster auf. Seine Lieblingssendung lief sonntags am späten Abend. Sie hieß Un domingo en … und bot Reportagen über bedeutende Städte in der Welt – Budapest, Berlin, Amsterdam … London! Während seine Augen am Bildschirm festhingen, beschleunigten und bremsten seine Füße abwechselnd, und manchmal umklammerten seine Hände ein unsichtbares Lenkrad. Wenn auch in Schwarz-Weiß, begann er wieder zu reisen.
Die Trauer sei ein Prozess, heißt es, und jeder kanalisiere ihn auf die Art, wie er es eben könne. Die Wochen verstrichen, und noch immer hatte Gabriel keine Träne über Bundós Tod vergossen.
Am ersten Montagabend im April – es war der Ostermontag – schaute er eine Folge von Hawaii Fünf-Null an, einer seiner Lieblingsserien. In einer Szene schlugen zwei maskierte Übeltäter den Wächter eines Parkhauses zusammen und raubten ein Luxusauto. Kurz darauf befragte Commander McGarrett den Wächter, der dabei eine Augenklappe, einen Kopfverband und einen Arm in Gips trug. Gabriel erkannte sich in ihm wieder. Er blickte auf seinen eigenen Gipsarm. Da er ihn weder schmerzte noch störte, hatte er ihn ganz vergessen. Er hatte ihn als Teil von sich akzeptiert, wie eine Armbanduhr oder einen neuen Haarschnitt. Nun betrachtete er ihn eingehend. Der Gips starrte vor Schmutz, es war widerlich. Seit einigen Tagen trug er ihn nicht mehr in der Schlaufe, und weil er allenthalben irgendwo damit anstieß oder sich mit einer Stricknadel darunter kratzte, war er rissig geworden und zerbröselte am Rand. Zwar umwickelte er ihn zum Duschen mit einer Plastiktüte, dennoch hatte das Wasser ihn aufgeweicht, an einer Stelle war schon die Schiene sichtbar. Gabriel griff sich einen Kalender, zählte die Wochen seit dem Unfall und stellte fest, der Gips hätte schon vierzehn Tage zuvor entfernt werden sollen.
Am nächsten Morgen bat er um einen Termin beim Unfallchirurgen der Mútua. Als der ihm die Hülle aufbrach, kam ein käseweißer zerbrechlicher, wehrloser Arm zum Vorschein, der obendrein stank. Gabriel umfasste ihn am Handgelenk wie jemand, der ein Katzenbaby hält.
»Ich frage dich nicht, ob du den als Andenken behalten willst, hat ja niemand drauf unterschrieben oder was gezeichnet«, sagte der Arzt, während er den Gips in den Abfalleimer warf.
Gabriel erwiderte nichts. Es war das erste Mal seit anderthalb Monaten, dass er sich über die Grenzen des Stadtviertels hinausgewagt hatte.
»Du würdest dich wundern, was für Eseleien sich die Leute heute auf die Gipse schreiben lassen. Manchmal politische Parolen, für die sie, wenn ein Polizist das läse, direkt in den Kerker wandern könnten.«
Eine Krankenschwester wusch ihm den Arm, danach untersuchte der Arzt die Gliedmaße, indem er sie ein paar Mal auf und ab bewegte. Er empfahl Gabriel, eine Weile lang täglich Gewichte zu heben, um die Muskulatur aufzubauen, dann unterzeichnete er ihm die Krankschreibung. Nächsten Montag könne er wieder arbeiten gehen.
Überflüssig zu erwähnen, dass er sich an dem Montag nicht einmal in die Nähe
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