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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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das sich in der verschmutzten Luft verlor.
    Als er diese Strecke satthatte, erweiterte Gabriel seinen Aktionsradius. Öffentliche Verkehrsmittel benutzte er nie. Drei Plätze mit balearischen Namen lagen in Gehweite, dorthin zog es ihn nun. Er ging zur Plaça Llucmajor, manchmal dann noch weiter bergab bis zur Plaça de Sóller, und gelegentlich stieg er sogar über den Turó de la Peira ins Viertel Horta und dort bis zur Plaça Eivissa. Auf dem Rückweg hatte er es immer eilig, wie ein junger Hund, der die Grenzen seines Reviers überschreitet und sich plötzlich verloren fühlt, doch der Gang hinterließ ihm ein angenehmes Gefühl von Abenteuer. Es waren Orte in Barcelona, die er bisher nur vom Umzugslaster aus gesehen hatte, genervt vom dichten Verkehr, und nun lief er sie mit ganz neuem Blick ab, wie ein Fremder.
    Diese Vorstöße in die Außenwelt, die man ebenso gut als Ausflüge in die Innenwelt betrachten kann, gingen oft mit einem Gefühlsrückstoß einher: Dann sah er sich selbst als Bundós Stellvertreter, sah sich Bundós Schritte durch Bundós Gegend gehen. Er betrachtete die Orte mit dem unersättlichen Blick des Freundes, wie er zum Beispiel an einem Sonntagnachmittag Arm in Arm mit Carolina spazieren gehen würde, und die Vorstellung hatte auf ihn eine tröstende Wirkung. Auf diese Weise fühlte er sich nirgendwo als Eindringling.
    Aus dieser neuen Routine, mit derselben Natürlichkeit, mit der er in der Bar einen Kaffee bestellte, manche Nachbarn grüßte oder im Lichthof Wäsche aufhängte, begann Gabriel seinen Selbstmord zu planen. Er war kein impulsiver Mensch, und der Gedanke kam ihm nicht einfach so in einem schwachen Moment, sondern reifte allmählich in ihm heran. So wie die Kiesel und Sedimente, die sich nach und nach in einem Flussbett ablagern, irgendwann, an einem ganz normalen Tag, den Lauf des Flusses stoppen können. Er hätte selbst nicht zu sagen vermocht, wann er zum ersten Mal daran gedacht hatte. Wenn er zurückblickte, schien es ihm schon immer so bestimmt gewesen zu sein.
    »So etwas wie ein Herstellungsfehler«, sagte meine Mutter, als ich sie fragte, was das bedeuten solle.
    Die Sache spielte sich folgendermaßen ab. An einem Abend im April kam Tembleque ihn spät noch besuchen, und sie gingen unten in der Kneipe ein Bier trinken. Der Freund überbrachte ihm nicht nur alle Neuigkeiten, die es bei La Ibérica gab, sondern auch eine Botschaft von Herrn Casellas: Seit dem Unfall sei eine angemessene Zeitspanne verstrichen, und man wisse in der Firma, dass er nicht mehr krankgeschrieben sei; wenn er am kommenden Montag nicht zur Arbeit erscheine, könne er sich als entlassen betrachten. Wieder allein zu Hause, wog Gabriel die Alternativen ab und stellte fest: Wenn er in eine Waagschale die Rückkehr zur Arbeit legte, befand sich in der anderen etwas Unbekanntes, das mehr Gewicht hatte. Als er herauszufinden versuchte, was das war, stieß er auf das Nichts. Es schien ihm besser, sich von der Landkarte zu tilgen.
    Diese Intuition verfestigte sich bei ihm mittels einer eher banalen Kette von Indizien. Gabriel rauchte immer in sieben Tagen eine Stange Ducados. Sein Zigarettenverbrauch war angestiegen, seit er ein sesshaftes Leben führte, doch er wollte ihn unter Kontrolle halten, indem er einen festen Tag bestimmte, an dem er den Tabak kaufen ging. Also holte er sich jeden Montagmorgen seine Wochenration. Wie es sich gehörte, redete ihm der Händler, ein Valencianer, der im Krieg ein Auge verloren hatte, fünf Minuten lang einen Knopf an die Backe, stets voller Lob für die Taten Francos (der von einem Foto an der Wand hinter dem Ladentisch herab zuschaute), und wickelte ihm dann seine Päckchen Ducados in eine Zeitungsseite ein. Der Tabakhändler las die Vanguardia, und an jenem Montag Ende April verwendete er eine Seite aus dem Gesellschaftsteil. Da er seit dem Vortag nicht geraucht hatte, packte Gabriel die Zigaretten gleich nach seiner Ankunft in der Wohnung aus und steckte sich eine an. Damit setzte er sich aufs Sofa, nahm das zerknickte Stück Zeitung zur Hand und las die Schlagzeilen:
DER SCHAUSPIELER JORGE MISTRAL HAT SELBSTMORD BEGANGEN
Seit einigen Jahren lebte er in Mexiko
    Obwohl er sich die Namen von Prominenten schlecht merken konnte, wusste er, wer Jorge Mistral war, und die Meldung interessierte ihn. Auf einer der letzten Fahrten im Pegaso waren sie auf ihn zu sprechen gekommen, mit Bundó und Petroli. Die Nachrichten auf Radio Nacional hatten gemeldet, dass die

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