Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
Schluck Whisky ein, der noch in der Flasche war. Danach fasste sie sich und fuhr fort: »Leider erwachte mit dem Tag, als du, Cristòfol, im Carambola nach Gabriel fragtest, die Bestie wieder. Als hätte Feijoo einen Eifersuchtsanfall, weil ein anderer Jäger ihm seine Beute wegschnappen wollte. Außerdem, wenn ein Unbekannter ihn hier in der Gegend suchte, konnte er ja nicht weit sein. Diesmal gingen sie geschickter und geduldiger vor. Anstatt gleich wieder wütend gegen die Wohnungstür anzurennen, haben sie uns wohl erst mal ein paar Tage lang beobachtet. Ich kann mir vorstellen, was für Gesichter sie machten, als sie Gabriel einfach so auf der Straße umherspazieren sahen. Wie gesagt, wir hatten uns entspannt. Letzten Montag war es dann so weit. Gabriel ging morgens aus dem Haus und kam nicht zum Mittagessen wieder. Ich dachte zuerst, das sei ein gutes Zeichen, und suchte mir alle möglichen Erklärungen. Vielleicht hatte er Zutrauen gefasst und sich weiter wegbewegt, vielleicht war in ein Restaurant gegangen, vielleicht hatte er alte Kollegen von La Ibérica besucht. Am Nachmittag fing ich aber an, mir Sorgen zu machen. Die Stunden vergingen, und er erschien nicht. Mir füllte sich der Kopf mit düsteren Bildern. Jetzt, da er seine Freiheit zurückgewonnen hatte, war er vielleicht verschwunden, ohne etwas zu sagen, so wie der, der vom Zigarettenholen nicht wiederkommt? Ich dachte daran, was er euern Müttern angetan hatte, und mir drehte sich vor Angst der Magen um. Um mich zu beruhigen, sagte ich mir, dass es uns doch jetzt wieder gut ging zusammen, dass da kein Grund zur Sorge bestand. Und damit verlagerten sich meine Befürchtungen auf ein anderes, noch finstereres Gebiet: wenn Feijoo und Miguélez ihm wieder auf der Spur waren? Um Mitternacht hörte ich Gott sei Dank seine Wohnungstür. Völlig mit den Nerven fertig, kroch ich durch den Geheimgang. Und als wäre der Schrank eine Zeitmaschine, fand ich auf der anderen Seite einen Gabriel, der um zehn Jahre gealtert war, abgemagert, zitternd …«
Sie hatten ihn geschnappt, sagte er ihr. Und hatten ihn nun am Abend zu einer Kartenpartie im Carambola gezwungen. Das war ein Test, eine Trainingsrunde zum Aufwärmen. Sie verlangten kein Geld mehr von ihm, sie verlangten, dass er für sie spielte. Besser gesagt: gewann. Von nun an werde er für sie arbeiten. Oder, wenn ihm diese Formulierung besser gefalle (sagten sie lachend, die Pistole auf ihn gerichtet), werde er ihr Sklave sein. Mindestens zwanzig Tische werde er für sie spielen – und selbstverständlich alle gewinnen. Nur auf diese Weise könne er seine Schulden abzahlen. Sie würden Spaß zusammen haben, er werde schon sehen. Sie würde ihm die Opfer zuführen, dicke Fische, bereit, in einer langen Nacht einen Sack voll Geld dazulassen. Ach ja, und er solle es sich bloß nicht einfallen lassen, abzuhauen oder zur Polizei zu laufen. Er werde nun rund um die Uhr überwacht, Abtauchen sei nicht mehr drin. Das Gleiche gelte für die italienische Nachbarin. Kein Wort! Er solle die Sache schön zurückhaltend angehen, es sei ja ganz einfach und für alle von Nutzen. Zwei Monate Geld verdienen, und dann sei es vorbei …
»Gabriel berichtete mir das auf dem Bett ausgestreckt, im Halbdunkel seines Schlafzimmers. Ich hatte eine Taschenlampe dabei, und immer wenn ich sie anschaltete, sah ich einen resignierten, verängstigten, niedergeschmetterten Mann. Eine absurde Szene war das, sie zeigte, was für einen Grad an Idiotie wir erreicht hatten. ›Ich habe ja ewig nicht mehr gespielt‹, sagte er, ›keine Ahnung, ob die Finger mir noch gehorchen. Mit den Tricks beim Pokern ist es wie mit dem Klavier. Fingerübungen, du musst immer Fingerübungen machen. Außerdem bin ich nicht mehr so schnell wie früher, mein Gehirn ist eingerostet …‹ Ich versuchte ihn aufzumuntern, es gäbe ja andere Lösungen. Auch euch erwähnte ich, aber er hörte mir gar nicht zu, er war besessen von den Spielen, die er machen musste. Den ganzen nächsten Vormittag übte er mit den Karten. Hier am Tisch saß er, hatte die Jacke an und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Er zog die Karten aus den Ärmeln oder schob sie hinein, so schnell, dass man es mit menschlichem Auge kaum wahrnahm. Manchmal missglückte ihm die Bewegung, dann flog die Karte hoch. Das sah lustig aus, aber er fand es kein bisschen komisch. Abends um acht holten sie ihn ab. Die erste echte Partie stand an. Sie klopften sehr höflich an die Tür, und er folgte
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