Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
Geldscheine. Alle vier suchten wir Gabriel mit dem Blick, doch er saß mit dem Rücken zu uns, wir konnten nur seinen Nacken sehen und seine steifen Schultern. Trotz des Aufruhrs blieb er reglos und hielt seine Karten fest. Er hatte wohl ein gutes Blatt. Wir schauten uns die anderen an. Neben Gabriel saß ein Mann um die fünfzig, völlig verschreckt. Er hatte die Karten mit dem Bild nach oben auf den Tisch fallen lassen und die Hände gehoben, als bedrohten wir ihn mit einer Waffe. Sein solariumgegerbtes Gesicht wurde kreidebleich. Zwischen seinen Lippen qualmte eine Havanna, und da er sich nicht traute, sie in die Hand zu nehmen, biss ihm der Rauch in die Augen. Keine Frage, dass er Manubens heißen und der Geldsack sein musste, den es heute Nacht zu plündern galt. Dem Mann neben ihm lief der Schweiß in Bächen hinab, ein öliger Schweiß. Er war offenbar einer von Feijoos Kumpels, sah aus wie ein Imbissbudenbetreiber, und seine Lider flatterten die ganze Zeit, doch er wagte es nicht, uns in die Augen zu blicken. Am kleinen Finger seiner rechten Hand glitzerte ein Rubinring, und ohne dass wir etwas gesagt hätten, zog er ihn ab und legte ihn auf den Tisch. Dann der Gastgeber, Feijoo. Er schien gefasst und sprungbereit, schielte aber zu Miguélez hinüber und kaute unentwegt auf einem Zahnstocher herum. Zu Gabriels Rechten also: der berühmte Miguélez. Wir besahen uns sein schlaffes, teigiges Gesicht (von Vorteil, wenn man sich beim Pokern nichts anmerken lassen wollte), seinen schiefen Schnurrbart und seinen Krötenrumpf, den er so oft gegen Gabriels Wohnungstür geworfen hatte. Seine Haltung war herausfordernd, sein Mund verzerrte sich zu einem bedrohlichen Lächeln, er wirkte wie ein Wolf, der Blut witterte. Natürlich war er es, der die Stille durchbrach: »Mal sehen Jungs, sagt mir, wo tut’s euch weh?«
Er dehnte die Vokale, um sich und uns weiszumachen, er hätte die Lage im Griff. Christof, der sich als Theatermann sehr in seine Rolle hineinsteigerte, war mit zwei Schritten bei ihm und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige, mit der flachen Hand, wie es die Clowns im Zirkus machen.
»Sitzen bleiben, habe ich gesagt!«, brüllte er wieder auf Deutsch.
»Que te sientes, coño!« Diesmal verfiel Cristòfol, von Miguélez inspiriert, in den Tonfall eines Guardia Civil beim Militärputsch.
Es ist erstaunlich, welche Überzeugungskraft etwas so Primitives wie eine Ohrfeige entfalten kann. Gabriel blieb unaufgeregt, aber der Mann mit dem Ring schloss die Augen und faltete die Hände zum Gebet, Manubens begann zu wimmern, die Zigarrenasche rieselte ihm ins Revers, Feijoo spannte seinen Körper an und spuckte den Zahnstocher auf den Boden. Miguélez hatte zu viel Soldatenstolz, um klein beizugeben. Zwar legte er instinktiv die Hand auf seine brennende Wange, doch schon stand er wieder auf, um sich für den Schlag ins Gesicht zu rächen. Da schob sich Christopher aus dem Dunkel zwischen ihn und Christof und ließ ein Klappmesser aufschnappen. Miguélez hielt inne, sank langsam zurück in seinen Stuhl.
»She’s thirsty«, sagte Chris, wobei er ihm starr in die Augen sah und die schlanke Silhouette des Messers schimmern ließ, das unser Vater in seiner Wohnung aufbewahrt hatte und das eigentlich, ebenso schüchtern und verschlossen wie er selbst, immer versteckt gewesen war.
»My lovely dagger is thirsty …«
»Die Klinge ist durstig«, übersetzte Cristòfol.
Chris schnippte mit den Fingern, als würde er damit einen Befehl erteilen, und Christophe trat hinter Gabriel. Mit einer majestätischen Geste, die er an diesem Abend innerlich hundert Mal geprobt hatte, entfaltete er die Decke, als wäre sie sein Umhang, und ließ sie über unseren Vater fallen. Christof kam ihm zu Hilfe, und mit ein paar raschen Handgriffen schnürten sie die Hakenschnur um Gabriels Oberkörper. Damit er nicht auf den Gedanken kam, sich zu wehren, schrie ihm Cristòfol ins Ohr, nun wieder auf Katalanisch: »Beherrschen Sie sich, Delacruz, unser Auftrag ist, Sie lebend zu Mister Bundó zu bringen.«
Als der magische Name erklang, hielt das Bündel still, bis auf dass ihm ein Lachen entfuhr. Er hatte verstanden. Christophe und Christof verloren keine Zeit, sie rannten mit ihm zum Auto, öffneten den Kofferraum und zwängten ihn hinein.
»Kriegst du genug Luft?«
Das Bündel bejahte gehorsam. Ehe sie vorsichtig die Klappe schlossen, erklärten sie ihm, er müsse da hinein, damit es wirklich nach Entführung aussehe, aber dies sei
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