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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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seine Tränendrüsen für immer austrockneten.
    Zudem, so sahen wir es, sollte dies ein Anfang sein und kein Ende.
    Aber.
    Aber einmal, bei einem unserer ersten Treffen, hatten wir Christof sein sehr schwieriges Spielchen gespielt: Jeder sollte eine Metapher finden für die Mischung von Gefühlen, die er für Gabriel hatte. Einer von uns, egal wer, brachte damals ein Bild hervor, das uns nun sehr passend erschien.
    »Denkt euch, eines Tages bringt das Leben euch so weit, dass ihr aus Verzweiflung russisches Roulette spielt. Ihr habt den Revolver in der Hand, ihr schiebt die einzige Patrone in die Trommel, die Kugel, die euch töten kann, dann lasst ihr die Trommel rotieren. Ihr presst euch den Lauf gegen die Schläfe, und ihr drückt ab. Versucht euch auf das winzige Erschauern zu konzentrieren, das nun zwischen ja und nein liegt. Für mich ist die Abwesenheit des Vaters wie das leere Kämmerchen dieser Pistole.
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7
W IR HABEN DIE GLEICHE E RINNERUNG
    Hier eine Empfindung, über die wir uns freuen: Alle vier Christofs haben die gleiche Erinnerung an diesen Moment. An den ruhmreichen Tag, da die Linie der Vergangenheit und die der Gegenwart endlich ineinander aufgegangen sind. Genau jetzt sind wir eine Erinnerung für die Zukunft. Die Jahre werden vergehen, vielleicht werden wir uns öfters treffen, vielleicht nicht, wer weiß? Jeder von uns wird aus dieser Erinnerung seine eigene Erzählung bauen und ihr den Sinn geben, der ihm zupasskommt; aber was uns mit Stolz erfüllt, was uns wirklich verbrüdert, ist, dass der Ausgangspunkt für uns alle derselbe sein wird. Jawohl: Es ist diese Gegenwart eines Sonntagmorgens.
    Die Sonne geht gerade auf. Die Stadt ist schon wach, und wir haben noch nicht geschlafen. Wir sind todmüde, aber wir kämpfen darum, die innere Unruhe zu verlängern, die uns die ganze Nacht die Augen offen und den Kopf klar gehalten hat. Um sechs Uhr früh haben wir beschlossen, dass wir frische Luft brauchen, und sind zum Pla de Palau geschlendert. Gabriel kennt dort eine Bar, in der es um diese Zeit schon Frühstück gibt. Unser endloses Geschwätz hat uns hungrig gemacht. Im Zitadellenpark rennen zwei junge Leute in Jogginghosen herum, und ein Betrunkener sucht auf einer Bank nach der besten Position, um über den Kater hinwegzuschlafen. Aus der Ferne hört man das Geschrei der Vögel im Zoo, die mit dem Morgengrauen erwachen. Als wir vor dem Mercat del Born ankommen, bleiben wir stehen und betrachten die leere Markthalle. Das bisschen Licht lässt den riesigen Innenraum erahnen und verleiht ihm eine Aura des Übersinnlichen. Cristòfol tritt ans Eingangstor und durchbricht die Stille, indem er das Weinen eines Neugeborenen imitiert. Das Echo von drinnen klingt wie ein Gelächter, so wie beim Weinen unseres Vaters an einem frühen Morgen sechzig Jahre zuvor. Eine Taube fliegt erschrocken heraus.
    »Ja, stimmt«, antwortet Gabriel. »Man kann sagen, dies ist mein Geburtsort. Meine Wiege. Aber mit den Jahren hat sich das hier alles sehr verändert, ihr könnt es euch gar nicht vorstellen.«
    »Und die Fischverkäuferin?«, fragen wir ihn. »Hast du sie noch irgendwann einmal wiedergesehen?«
    »Nicht, dass ich wüsste. Ich habe sie schon lange aus den Augen verloren, aber habe nie aufgehört, an sie zu denken. Es ist komisch. Immer wenn mich jemand nach meiner Mutter fragt, fange ich an, diese Frau zu beschreiben.«
    Gabriel spricht zutraulich und ohne auszuweichen, er blickt uns in die Augen. Immer wieder beschleicht uns der Verdacht, er will es uns mit seinen Worten bloß recht machen, will die Prüfung bestehen. Als hätte er, während er in seiner Wohnung eingeschlossen war, unsere Hinweise und Aufzeichnungen genau studiert und bemühte sich nun, dem Bild zu entsprechen, das wir uns von ihm gemacht haben. Vielleicht weil er uns nicht weiter linken möchte, wofür wir ihm natürlich dankbar sind. Oder wir bilden uns das nur ein, es ist der Rest Groll und Enttäuschung bei uns, der sich nicht so leicht überwinden lässt. Wie auch immer, seit mehr als sieben Stunden sind wir nun zusammen, und wir können sagen, die erste Sprödigkeit ist verflogen.
    In der Nacht, als wir gerade mit ihm in der Wohnung angekommen waren, öffnete Giuditta eine Flasche Sekt, um die Befreiung mit uns zu feiern. Aber als dann der Überschwang nachließ, wurden wir alle stumm. Wo sollten wir beginnen? Wer sollte das Wort ergreifen? Die Stille wurde drückend. Giuditta merkte, dass sie

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