Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
die letzte Unannehmlichkeit, die sie ihm bereiten würden. Sie ließen den Motor an und hupten ein Signal, das wir vereinbart hatten. Chris hielt unterdessen die Pokerspieler weiter mit seinem Dolch in Schach. Er schnippte noch einmal mit den Fingern, diesmal in Richtung von Manubens, und wies ihn an, das Geld auf dem Tisch einzusammeln. Als das geschehen war, steckte er es sich in die Tasche.
»Keep playing now«, befahl er und fuchtelte mit der Klinge. Er fing an, seinen Spaß zu haben. »And don’t move till you have finished the game. Understood?«
Cristòfol übersetzte.
»Wer zum Henker ist dieser Bundó?«, erlaubte sich Miguélez zu fragen, als wir schon auf dem Weg nach draußen waren.
»Das willst du im Grunde gar nicht wissen, Miguélez«, antwortete Cristòfol. »Und du auch nicht, Feijoo, und du auch nicht, Manubens. Oder täusche ich mich, Manubens?«
Der Unternehmer stieß ein angstvolles »Nein« hervor. Er war verzweifelt, weil diese Fremden seinen Namen wussten.
»Wir kennen euch alle, das ist ja klar. Aber weil wir so wohlerzogen sind, will ich dir deine Frage sogar beantworten. Bundó ist ein Deckname. Dahinter steckt eine internationale Organisation, die in den besten Casinos der Welt operiert. Denn falls ihr es nicht gemerkt habt, ihr Nulpen, dieser Delacruz ist eine echte Zimtstange. Wir haben ihn schon lange im Blick, und plötzlich pfuscht ihr Tölpel uns dazwischen. Von jetzt an erwarten ihn interessantere Herausforderungen. Monaco, Nizza, St. Petersburg, vielleicht Las Vegas, wenn er noch ein bisschen besser wird …«
Die Gesichter von Feijoo und Miguélez waren zum Totlachen. Die Hupe des Opels erklang ein zweites Mal. Chris schnippte energisch mit den Fingern.
»Come on, let’s go, let’s go!«
»Venga, vamos, vamos«, übersetzte Cristòfol noch, und auf der Türschwelle wandte er sich ein letztes Mal um: »Ah, und damit euch nichts passiert, Feijoo, Miguélez: Ihr lasst die Finger von Delacruz. Ein für alle Mal. Und ebenso von der italienischen Nachbarin. Die gehören jetzt uns, und ihr habt ja gesehen, wie schnell der Deutsche die Geduld verliert.«
Die Euphorie stieg uns zu Kopf auf der kurzen Fahrt zurück in den Carrer Nàpols. Wir schrien herum und klatschten uns ab, ließen dem Adrenalin freien Lauf, lachten laut über die Ohrfeige, die Miguélez sich eingefangen hatte. Trotz der Aufregung fuhr Christof sehr behutsam, um Erschütterungen zu vermeiden. Nun, da wir Gabriel endlich wiederhatten, galt es, ihn unbeschadet nach Hause zu bringen. Wir stellten das Auto im Parkhaus ab und öffneten den Kofferraum. Da war er, unser Vater. Unter der Decke zeichnete sich sein regloser, aber angespannter Körper ab, wie ein Houdini kurz vor der Flucht.
»Keine Sorge. Wir sind die Guten in diesem Film«, sagte Cristòfol und klopfte ihm dabei auf die Schulter. Da das Bündel sich immer noch nicht rührte, klopfte er erneut und fragte: »Du atmest, oder?«
Diesmal sagte das Bündel Ja. Zu viert luden wir ihn uns auf und trugen ihn hoch in den ersten Stock, weiterhin in die Decke gebunden. Wir kitzelten ihn, und er musste lachen. Vielleicht erscheint euch diese Verzögerung als eine Grausamkeit, die man einem Vater nicht antun soll, aber für uns Christofs war sie unvermeidlich: Wir hatten abgemacht, dass wir Gabriel alle vier im selben Moment wiedersehen wollten und er auch uns alle vier zugleich.
Giuditta öffnete uns die Tür und dankte dabei sämtlichen Heiligen und Madonnen des italienischen Kalenders. Wir luden den Vater auf dem Sofa ab, lösten die Schnüre und setzten uns im Halbkreis vor ihm hin.
Ein paar Armbewegungen, und Decke und Bänder waren abgeschüttelt. Zum Vorschein kam Gabriel, unser Vater. Verschwitzt und mit wirrem Haar, wie ein Schauspieler, der gerade von der Bühne kommt und sich in der Garderobe aufs Sofa fallen lässt, um dem Beifall zu lauschen, der noch aus dem Parkett erklingt.
»Danke«, sagte er nach einiger Zeit, während er uns einen nach dem anderen ansah. »Vielen Dank.«
Nun werden wir nicht so plump sein, das, was jeder von uns in diesem Augenblick erlebte, zu einer Handvoll Phrasen zu verwursten. Auch werden wir uns nicht von unseren Gefühlen hinreißen lassen. Wir Christofs haben Schwierigkeiten mit übersprudelnder Sentimentalität – zweifellos eine Folge davon, als unvollständige Waisen aufgewachsen zu sein –, und Gabriel … nun, Gabriel wurde vor vielen Jahren dagegen immun, als er endlich Bundós Tod beweinte und daraufhin
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