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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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…«, scherzte Gabriel, um Zeit zu gewinnen. Er wirkte auf einmal ratlos und erschrocken. »Aber wisst ihr, ich bin von der Art her eher zurückhaltend, es fällt mir schwer, einfach draufloszureden. Das bin ich nicht gewohnt. Besser, ihr fragt mich, was ihr wissen wollt. Dann haben wir es leichter.«
    Wir mussten nicht lange nachdenken. Wir hätten Warum? fragen können, kurz und knapp, sodass er hätte einsetzen können, wo er wollte. Doch es gab ja ein Rätsel, das uns selbst noch vorausging, ein Rätsel, das unsere Leben so sehr prägte, als steckte ein großer Plan dahinter.
    »Wieso heißen wir alle gleich?«, fragten wir also und sagten dazu noch jeder seinen Namen, als ließen wir uns auf einer Liste abhaken: Christof, Christopher, Christophe, Cristòfol.
    »Das dachte ich mir schon.« Er wirkte erleichtert. »Mal sehen. Ich weiß nicht, ob es, genau genommen, eine Antwort auf eure Frage ist, aber ich erzähle euch etwas, was mir passierte, als ich klein war. Ja, es ist wohl Zeit, dass ich es mal erzähle. Außer Bundó, der es selbst miterlebte, weiß es niemand, nicht einmal eure Mütter. Und wenn es jemanden gibt, der es erfahren sollte, dann seid ihr es.«
    Er hielt kurz inne, um Luft zu holen oder Mut zu schöpfen.
    »Ich nehme an, eure Mütter …«
    »Moment, bitte«, unterbrach ihn Christof. »Wir brauchen einen Titel.«
    »Einen Titel?«
    »Ja, entschuldige, aber wir Christofs haben die Macke, allem einen Titel zu geben.«
    »Ihr Christofs, sagst du? Na schön. Dann könnte der Titel Der erste Christof lauten.«
    »Leg los.«
    Der erste Christof
    Eure Mütter, wollte ich sagen, haben euch ja schon erzählt, dass ich in einem Heim aufgewachsen bin, in der Casa de la Caritat. Also die Nonnen, die das Haus leiteten, taten alles, um uns eine katholische, apostolische und römische Erziehung zu verpassen. Zwar lebten auch Kinder aus armen Familien dort, deren Eltern es nicht schafften, sich um sie zu kümmern, aber die meisten von uns waren Waisen, Ausgesetzte, und die Nonnen glaubten, wenn sie sich bei unserer Aufzucht nicht die größte Mühe gäben, würde an uns eines Tages die Gesellschaft verfaulen. Wir gingen also zur Schule, lernten den Katechismus in- und auswendig und befolgten jeden religiösen Feiertag, den der Kalender zu bieten hat. In diesem Umfeld lernte ich Bundó kennen, der elternlos war wie ich. Wir waren vier oder fünf Jahre alt und wurden sofort Freunde. Wir verteidigten einander, wenn die Größeren uns verhauten oder mit uns blöde Scherze trieben oder uns bei den Nonnen für irgendwelche Untaten anschwärzten. Na ja, das wisst ihr alles schon, und es ist jetzt nicht so wichtig … Ich erwähne es nur, damit euch die Situation noch einmal klar wird.
    An einem Samstag im Herbst – wir waren sieben Jahre alt – spielten Bundó und ich mit den anderen Jungs aus der Casa Fußball. Ich stand am liebsten im Tor, so ersparte ich mir das Gerenne. Plötzlich erschien Schwester Rosario auf dem Hof und rief meinen Namen. Ich sollte sie zur Oberin begleiten, zu Schwester Elvira. Vor diesen Überraschungsterminen graute uns, denn sie konnten nur zwei Dinge bedeuten: Entweder wollte die Obernonne dich beschimpfen und bestrafen für irgendein Verbrechen, das du gar nicht begangen hattest, das war in neunundneunzig von hundert Fällen der Anlass. Oder sie hatten eine Adoptivfamilie für dich gefunden.
    1948, neun Jahre nach Kriegsende, waren Adoptionen von Waisenkindern in Barcelona noch eine Seltenheit. Ein paar Jahre später kamen sie langsam in Mode, vor allem bei wohlhabenden Familien, die keine eigenen Kinder kriegen konnten, aber damals bedeuteten sie noch eine gewagte und in gewisser Weise verzweifelte Entscheidung. An dem Samstagmittag klopfte mir die Nonne den Sand aus den Hosen, ließ mich die Hände waschen und kämmte mich ordentlich, nachdem sie mich mit einem kräftigen Strahl Kölnischwasser getauft hatte. »Jetzt«, sagte sie, »riechst du wie ein gutes Kind.« Als wir vor dem Büro der Chefin ankamen, kniete sie sich hin, gab mir einen Kuss auf die Stirn, was sonst nie geschah, und ermahnte mich, ich solle schön brav sein. Ich sei nun bald groß. Dann ließ sie mich ganz alleine in das Büro treten. Als ich hereinkam, sprach die Oberin mit einem aufgetakelten Ehepaar. Alle drei drehten sich zu mir um und sahen mich voller Bewunderung an. Ich schämte mich.
    »Komm her, Gabriel«, sagte die Oberin. »Sag den Herrschaften Hallo. Gib ihnen die Hand.«
    »Hola«, wisperte ich und

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