Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
Fernando.
Ich brachte das überzeugteste Ja hervor. Eine andere Antwort wäre mir gar nicht in den Sinn gekommen.
»Wir bitten dich nur um eines, Liebling. Von morgen an, wenn du aufstehst, werden wir dich Cristóbal nennen. Dieser Name gefällt uns besser. Einverstanden? Denk dir, dass Gabriel im Waisenhaus geblieben ist und dass du hier als Cristóbal angekommen bist. Du wirst schon sehen, du gewöhnst dich im Nu daran.«
»Cristóbal, wie schön, wie schön!«, nuschelte Fernando.
Ich war hundemüde, und die Augen fielen mir zu, während ich mich bemühte, noch einmal Ja zu sagen. Wenn das der Preis war, den ich zu zahlen hatte … Cristóbal gefiel mir auch. Im Waisenhaus gab es keinen Jungen, der so hieß. Außerdem, sagte ich mir, wenn ich ihnen jetzt diesen Gefallen tue, willigen sie vielleicht schon bald ein, dass Bundó auch zu uns ziehen darf.
Am nächsten Morgen weckte mich die Mutter, indem sie die Gardinen aufzog. Die Sonne beschien mich mit der Helligkeit und Wärme einer göttlichen Segnung.
»Guten Morgen, Cristóbal, Schatz!«
Beinahe hätte ich gesagt, ich hieße Gabriel, Gabriel Delacruz, aber die Überraschung, in diesem Bett, in diesem Zimmer zu erwachen, brachte mir gleich das Gespräch von vor dem Einschlafen wieder in den Sinn. Eins gab das andere. Hier, an diesem wundervollen Ort, hieß ich Cristóbal. Otilia hatte mir in der Küche schon Frühstück gemacht, und nach dem Essen kleidete die Mutter mich ein. Sie öffnete Schubladen voller Hemden, Unterhemden und Hosen, alles säuberlich gebügelt und zusammengelegt, und suchte heraus, was ich anziehen sollte. (Unnötig, zu erwähnen, dass ich die Sachen von vorher, aus dem Heim, nie wieder trug.) Sie gab mir lange Hosen. Ich hatte noch nie ein Kind in langen Hosen gesehen, und bestimmt verzog ich das Gesicht, denn sie erklärte mir, es sei Sonntag, und am Sonntag habe man sich für die Elf-Uhr-Messe fein zu machen.
Fernando erwartete uns schon unten an der Straße, eine Zigarette rauchend, und zu dritt gingen wir zur Kirche von Bonanova. Wir gingen sehr langsam, und Maribel legte einen Stolz in jeden ihrer Schritte, als würde das ganze Viertel ihr zusehen. Sie nahmen mich bei den Händen, in ihre Mitte, Fernando zu meiner Rechten, sodass er mir die gesunde Hand geben konnte. Es war ein kalter Morgen, die welken Blätter begannen von den Bäumen zu schweben, aber die Sonne strahlte dabei, und Fernando wiederholte die ganze Zeit: »Was für ein schöner Tag. Was für ein Glückstag.«
Als wir nach der Messe wieder ins Freie traten, merkte ich, dass viele Leute auf uns blickten und uns aus der Ferne zunickten. Die Mutter sagte, so Gott wolle, werde ich nächstes Jahr in ebendieser Kirche meine erste Kommunion empfangen. Bald schon würde ich zur Katechese gehen. Ein altes Ehepaar trat auf uns zu. Sie starrten mich schweigend an, wussten nicht, was sie sagen sollten.
»Schau, Cristóbal«, wisperte die Mutter, »das sind deine Großeltern aus Barcelona, gib ihnen einen Kuss.«
Es waren Fernandos Eltern, ihre Namen habe ich vergessen. Woran ich mich aber erinnere, ist, dass die alte Dame sich zu mir herunterbeugte, um mich abzuküssen, und dass sie mir Angst einjagte, weil sie riesige Ohrringe trug, wie zwei Kürbisse aus Gold, und ihr Gesicht mit sehr viel Puder maskiert hatte, um die Runzeln zu verbergen. Wieder begann ich zu schluchzen. Der Großvater dagegen gab mir die Hand, als wäre ich ein erwachsener Mann, und hielt mehr Abstand.
»Nächsten Sonntag, so Gott will, wirst du die Großeltern aus Matadepera kennenlernen, Cristóbal«, setzte die Mutter hinzu und wollte mich damit beruhigen.
Ich könnte nun lauter weitere Szenen dieser Art beschreiben, mit Verwandten und noch mehr Verwandten, mit Freunden und Nachbarn. Später im Leben, als ich ein bisschen in der Welt herumkam, habe ich solche Seitenblicke, solches wissendes oder aufgesetztes Lächeln, solche Täuschungen und Missverständnisse immer mal wieder erlebt. So habe ich im Nachhinein verstanden, was damals um mich herum geschah. Ich könnte euch auch in allen Einzelheiten die Verwirrung eines Kindes schildern, das von einem Tag auf den anderen in eine ihm völlig fremde Umgebung versetzt wird und sich dort zurechtfinden muss. Aber das lohnt sich nicht. Was zählt, ist, wie leicht du dich als Kind an den Luxus gewöhnst, aber auch, wie nutzlos er dir erscheint, wenn du dich am Ende des Tages nicht einmal fünf Minuten lang geliebt gefühlt hast.
Tembleque, ein Kollege
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