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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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bemühen.
    Bis es gelang, das Tischbein wieder in Ordnung zu bringen, beklagte Herr Casellas eine Woche lang fortwährend sein Unglück, in einem weinerlichen Singsang, der in der Garage widerhallte, sodass sich den Arbeitern die Haare sträubten. Als sich die Wogen dann geglättet hatten, ging Bundó zum Chef und fragte sehr schüchtern, ob er schon über einen Nachfolger für den Verunfallten nachgedacht habe. Einen Nachfolger? Nein, noch nicht. Da begann er ihm von Gabriel vorzuschwärmen, von dessen unerhörter Körperkraft und Arbeitswilligkeit. Ein Herkules war der, die Ordensschwestern könnten es bestätigen.
    »Als ob er deine Braut wäre, caramba«, knurrte Casellas. »Er soll in den nächsten Tagen mal vorbeikommen.«
    Am folgenden Montag wurde in der Druckerei nicht gearbeitet, und Gabriel nutzte die Gelegenheit, um bei Schwester Elvira um Erlaubnis zu fragen und sich bei Herrn Casellas vorzustellen. Bundó hatte ihm das groteske Äußere des Chefs oft beschrieben und dabei an Einzelheiten und Spott nicht gespart, doch als Gabriel ihm nun zum ersten Mal selbst gegenüberstand, kam er ihm – und seine Anspannung verstärkte den Eindruck noch – wie eine Jahrmarktspuppe vor. Herr Casellas war klein und fett. Unterm Kinn hing ihm ein doppelter Kehlsack, der wie ein Babybauch mit Speckfalte aussah, und seine fleischigen Wangen glänzten, als hätte er gerade etwas sehr Öliges gegessen. Seine schrille Stimme passte überhaupt nicht zu dem voluminösen Leib. Gabriel stellte fest, dass Bundó den Chef täuschend echt imitierte. Beim Sprechen lächelte er, ohne es zu bemerken, und fuchtelte unentwegt mit Fingern herum, die kurz und dick wie kleine Botifarrówürstchen waren. Wenn er schwieg, weil jemand anders sprach, hatte er den Tick, die Oberlippe vor- und zurückzubewegen und sie dabei mit den Zähnen zu bearbeiten. Vielleicht auch um das zu vertuschen, ließ er sich einen dünnen Schnurrbart stehen, wie er bei den Anhängern des Regimes in Mode war. Da seine Stellung als Unternehmer mit einer gewissen Autorität einhergehen musste und ihm wohl hier und da gesagt worden war, dass er diese nicht natürlicherweise ausstrahle, hatte er zwei miteinander verbundene Entscheidungen getroffen, die ihn als Chef zugleich despotischer und lächerlicher machten. Zum einen trug er unter seinem Maßanzug aus der Schneiderei Santaclara stets ein bläuliches Hemd; nicht das offizielle, aber mit deutlichen Anklängen daran. Und zum anderen sprach er, obwohl er aus einer katalanischen Familie stammte, bei der Arbeit mit allen nur Spanisch.
    Gabriel klopfte an Herrn Casellas’ Bürotür und hörte die unpassende Stimme »Herein!« rufen. Er trat ein.
    »Hallo, ich bin Gabriel Delacruz. Ich komme von den Hogares Mundet. Bundó …«
    »Hallo, hallo«, unterbrach ihn Casellas und musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Du bist ein bisschen mickrig, oder? Wie viel wiegst du?«
    »Siebzig Kilo, Señor Casellas.«
    »Längst nicht. Das sage ich dir. Geh dich noch mal wiegen. Geben die Schwestern dir nichts zu essen? Sag ihnen, sie sollen dir mehr zu essen geben, wenn du hier arbeiten willst. Vor allem Spinat, da ist viel Eisen drin. Und Linsen. Und Rindfleisch, man muss mehr Rindfleisch essen. Du musst das Gleiche essen wie Bundó, aus dem ist ein richtiger Stier geworden.«
    Gabriel nickte. Dabei hatten weder er noch Bundó seit Monaten das kleinste Stückchen Rindfleisch gegessen, nicht einmal einen Happen Schmorbraten, von einem Steak ganz zu schweigen. Das letzte Mal war wohl gewesen, als die Nonnen sich ins Zeug legten, weil eine Dame, so schmal wie eine Fadennudel und mit einem Geiergesicht, Doña Carmen Polo de Franco, die Casa de la Caritat besuchen kann. Alle Heiminsassen mussten auf dem Innenhof antreten und vor den städtischen Würdenträgern vorbeimarschieren, und der Chor aus der Frauenabteilung sang das Salve Regina.
    »Willst du wirklich Möbel schleppen? Das ist eine sehr harte und aufreibende Arbeit.«
    »Ja, Señor Casellas.«
    Bundó hatte ihm empfohlen, den Chef immer mit Señor Casellas anzusprechen, denn der wisse eine ehrerbietige Haltung zu schätzen. Noch einmal betrachtete er Gabriel von oben bis unten, doch als er dann ansetzte, etwas zu sagen, klingelte das Telefon. Sofort machte er sich in seinem Bürostuhl kerzengerade wie ein Soldat. Dann ergriff er den Hörer und schlug den Ton an, in dem er mit den wichtigen Kunden sprach, den dicken Fischen. Mit größter Aufmerksamkeit lauschte er den Worten am

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