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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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säuberlich gestapelten Schachteln befand sich allerlei unwahrscheinliches Zeug, mit großer Sorgfalt zusammengepackt, um den Platz auszunutzen: ein Kamm aus Schildpatt, eine Keramikfigur von Aktaion mit seinen Hunden, ein Briefbeschwerer aus Teakholz, ein Schildkrötenpanzer, ein Radiorekorder, eine Kassette von Maria Dolores Pradera und eine vom Orchester Xavier Cugat, ein Postkartenheft mit Motiven aus London, das sich wie ein Akkordeon auffaltete, ein Spielzeugfotoapparat, ein Nagelschneider aus Schweizer Markenfabrikation, eine Sammlung von Pokerjetons aus dem Casino von Monte Carlo …
    Die einzige Verbindung zwischen all dem Krempel lag, wie sollte es anders sein, in den Machenschaften unseres Vaters. Einige Jahre lang – das wollen wir hier vorwegnehmen – behielten Bundó, Gabriel und Petroli von jeder ihrer Umzugsfahrten eine Art Pfand zurück. Eine Kiste, eine Tasche, einen Koffer, den sie heimlich abzweigten und dessen Inhalt sie untereinander aufteilten. Sie wussten, dass das kriminell war, doch sie hatten sich angewöhnt, es mit dem Argument der sozialen Ungerechtigkeit zu bemänteln: Angesichts derart vieler Arbeitsstunden ohne Pause und unter Bedingungen, die an Sklaverei grenzten, sei so ein kleiner Ausgleich mehr als verdient. Außerdem, wem ist noch nie bei einem Umzug etwas verloren gegangen? Das ist doch ein Naturgesetz.
    Gabriel hatte unseren Müttern in der Pose eines Robin Hood von diesen Diebstählen erzählt und sogar uns zu deren Nutznießern gemacht. Dank eines Fundes von Cristòfol können wir den Ablauf jener Phase gut rekonstruieren. In einem Schuhkarton stieß er zwischen Restaurantkärtchen, Stadtplänen und Landkarten auf ein Heft mit abgenutztem schwarzem Wachstucheinband, das nach Heimlichkeiten aussah. Darin hatte Gabriel den Inhalt eines jeden der entwendeten Koffer, Kartons und Kästen notiert. Gewissenhaft, wie er war, fehlte weder die Umzugsroute noch das Datum noch die exakte Auflistung aller Bestandteile der Beute.
    Diese Existenz als Piraten der Straßen (man sehe uns die Übertreibung nach) wurde für Gabriel und Bundó zu einem Leben im Idyll: Es entschädigte sie für die schwierigen Jahre ihrer frühen Jugend und versetzte sie in eine Art mobiles Paradies. Doch ehe es so weit war, mussten sie eine Lehrzeit überstehen, die wiederum die Dimensionen und die Finsternis eines Fegefeuers annahm.
    Es war Anfang 1958, und Bundó wie Gabriel hatten ihren sechzehnten Geburtstag hinter sich. Das Heim wurde in die Häuser der Llars Mundet verlegt, wie schon lange vorgesehen, und dieser Umzug bekam ihnen beiden schlecht. Die neue Einrichtung war ein monströser Bau im Vall d’Hebron, weit ab vom Schuss; eine Stadt für sich, in der man von Barcelona nichts mehr mitbekam. Keine vier Wochen nach dem Wechsel vermissten sie schon schmerzlich die labyrinthische Atmosphäre der Casa de la Caritat, vor allem aber die Gewissheit, dass sich jenseits der dicken alten Mauern ein weiteres, noch weitaus vertrackteres und gerade dadurch so attraktives Labyrinth erstreckte, ein Netz von lärmenden Straßen voller Ausschweifungen. Was hatten sie hingegen in dieser bergigen und wüstenhaft kargen Gegend verloren? Die Alten im Asyl genossen es, in den Garten zu gehen und die gute Luft zu atmen, und die Kleinen hatten viel Platz zum Spielen im Freien gewonnen – aber sie?
    »Das ist hier der Wilde Westen«, seufzten sie und vertrieben sich die freien Stunden damit, Eidechsen zu fangen, mit Steinen auf eine Konservendose zu werfen oder haarsträubende Fluchtpläne zu schmieden.
    Diese aufsässige Haltung wurmte die Ordensschwestern, und bald griffen sie zum Gegenmittel. Da die beiden keine besonders brillanten Schüler waren und vor allem, weil es keine Familie gab, die sie aufgenommen hätte, entschied die Oberin, sie seien alt genug, um arbeiten zu gehen.
    Gabriel schrieb Spanisch ohne viele Fehler und trat als Setzerlehrling in die von der Casa de la Caritat betriebene Druckerei ein. Seine Hauptaufgabe bestand darin, getrocknete Tintenreste von den benutzten Druckplatten zu waschen. Manchmal ließ man ihn auch die Holzlettern für die Überschriften in die Setzkästen einordnen. Das sah am Anfang nach einer ganz netten Beschäftigung aus, ein bisschen wie ein Puzzlespiel – das F zu den Fs, das B zu den Bs –, doch er konnte sich nicht dafür begeistern und wurde oft angeschrien, es müsse schneller gehen. Nur ausnahmsweise durfte er, als eine Art Trostpreis, eine halbe Kolumne Kurzmeldungen

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