Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
ließ, auch wenn das hieß, dass man eine Stunde zu spät mit der Fuhre ankam, sich irgendeine Ausrede überlegen und sich von Herrn Casellas verwünschen lassen musste.
Tembleque konnte einem auf die Nerven gehen, ja, aber er war Gabriel und Bundó trotzdem lieber als die anderen Kollegen.
»Es gab Ausnahmen«, erklärte unser Vater unseren Müttern, »so wie der Opa Cuniller oder auch Tartana, die schon alles hinter sich hatten. Aber die meisten von ihnen plusterten sich auf, bloß weil sie am Steuer sitzen durften. Wenn Casellas uns mit ihnen auf Fahrt schickte, spielten sie sich auf wie die rechte Hand des Chefs. Wegen jeder Kleinigkeit schnauzten sie uns an, und sie kommandierten uns herum, als wären wir beim Militär. Aber selbst wenn gerade Ruhe war und sie mit uns über Frauen sprachen, was Bundó und mich, die wir ja gerade erst aus dem Nest geflogen waren, natürlich brennend interessierte, spielten sie sich auf wie Vorstadt-Don-Juans, gaben uns altkluge Ratschläge und brüsteten sich mit unglaublichen sexuellen Fähigkeiten. Jeder von ihnen ein Tarzan! Und wenn wir sie dafür nicht genug bewunderten oder wenn sie merkten, dass wir uns das Lachen kaum verkneifen konnten (weil wir uns nämlich schon vorher, auf dem Weg zur Arbeit, über sie lustig gemacht hatten), dann rächten sie sich, indem sie uns beim Beladen und Entladen das Leben zur Hölle machten. Weißt du, was mit denen los war? Die waren frustriert, und ihnen fehlte diese Mischung aus Traumtänzerei und andalusischer Anmut, die Tembleque hatte.«
Hier ein weiterer Beleg dafür. Auf der Fahrt mit dem Kleinlaster oder wenn sie an einer Ampel standen, beherrschte Tembleque wie kein Zweiter die Kunst, auf die Hupe zu drücken, sich aus dem Fenster zu lehnen und den Mädchen auf der Straße schmeichelnde Worte zuzurufen. Sie gefielen ihm alle, er war nicht wählerisch. Sein Repertoire an Komplimenten war fantasievoll, und er verstand es, neckisch zu sein, ohne sie vor den Kopf zu stoßen. Zwar machten die Mädchen im ersten Moment ein verärgertes Gesicht, aber dann lächelten sie jedes Mal und blickten dem DKW verstohlen nach. Ein paar andere Fahrer, wie Brauli und Baltanás, eiferten ihm nach und benutzten dabei Ausdrücke, die sie von Tembleque gehört hatten. Doch aus ihrem Mund klangen sie nicht überzeugend, sondern holprig und platt, und die Frauen reagierten entweder beleidigt oder überhaupt nicht, und der einzige Eindruck, den diese Versuche auf Gabriel und Bundó machten, war ein Schauder des Fremdschämens.
»Die sind alle Nutten«, pflegte der Fahrer dann zu sagen, um nach einer Pause hinzuzufügen: »Außer meiner Frau, die ist eine Heilige.«
Für uns Christofs und erst recht für unsere Mütter ist Tembleque der einzige Name aus dem Team von La Ibérica, mit dem sich ein Bild verbindet. Alle Mütter stimmen darin überein, dass Gabriel, Bundó und Petroli von dem Torerofahrer immer voller Zuneigung sprachen. Unser Vater pries seine Gutherzigkeit – »Eine Seele von Mensch!« –, und laut Petroli war seine größte Tugend, von den Stieren abgesehen, dass er immer geradeheraus war. Bundó ließ es sich nicht nehmen, zu parodieren, wie er eine Kiste trug oder bei einem Möbelstück mit anpackte. Sobald er zugegriffen hatte, bebte sein ganzer Körper, in rhythmischen Wellenbewegungen, die von seinem vernarbten Bein ausgingen. Sein Gesicht verzerrte sich, und sein Hals spannte sich derart an, dass alle Muskeln und Sehnen hervortraten. Wenn er sich dann mit der Last bewegte, sah es aus, als könnte er jeden Moment zusammenklappen wie eine Marionette, bei der man die Fäden loslässt. Ein Arm hier, ein Bein dort, der Leib zerschmettert am Boden. Und nachdem er die Kiste im Wagen abgeladen hatte, dauerten die Konvulsionen seines Körpers noch einige Sekunden an. Jahre später überkam ihn dieses Zittern zwangsläufig auch, wenn er mit der Casteller -Truppe von Sant Adrià Menschentürme baute. Eine der Stützen in der dritten Etage verfiel in den Veitstanz; der Einsturz drohte.
Manchmal war sein Kopf am Morgen so vernebelt von Stierkampfträumen oder von einer Nacht mit zu viel Sol y sombra, dass er Gabriel oder Bundó den Kleinlaster steuern ließ und in der Kabine ein Nickerchen machte. Weil sie ja noch keinen Führerschein hatten, feierten die Freunde so eine Gelegenheit wie einen Lottogewinn und teilten sich den Weg auf, sodass jeder gleich lang fahren konnte. Wenn Tembleque fest genug schlief (was sie am Klang seines Schnarchens
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