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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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anderen Ende und sagte zu allem »Ja, ja, natürlich, ja, selbstverständlich«. So vergingen gut zwei Minuten, ehe ihm auffiel, dass Gabriel noch vor ihm stand. Er hielt kurz die Hand vor den Hörer und sagte: »Geh schon, geh schon. Sag Schwester Elvira, dass du nächsten Montag anfängst. Die ersten zwei Wochen sind ohne Lohn, Probezeit. Du fährst mit Bundó im Lieferwagen. Er trägt für dich die Verantwortung. Und wie gesagt: Iss mehr Spinat, Junge. Du musst hier ein Popeye sein oder wie der heißt.«

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D AS NAMENLOSE A LTER
    Die neue Arbeit ließ unsern Vater aufleben. An die Stelle der finsteren Druckerei trat das Führerhaus des Kleinlasters mit Blick auf die leuchtende Stadt. Der einschläfernde Geruch der Tinte verflüchtigte sich langsam, bis er nur noch weit hinten in seinem Gedächtnis überdauerte und sich allenfalls auf ganz harmlose Weise in Erinnerung brachte – etwa wenn Gabriel beim Frühstück eine Zeitung aufschlug oder wenn ihm ein auslaufender Kuli in der Hemdtasche die Brust mit einer blauen Medaille verzierte. In den ersten Wochen beobachtete Herr Casellas ihn und Bundó aus der Ferne, wenn sie zusammen mit dem DKW ankamen oder losfuhren, und beglückwünschte sich zu seinem sicheren Gespür bei der Auswahl des neuen Möbelpackers aus dem Waisenhaus. Die Schlepperei schien ihm bestens zu bekommen. Anstatt ihn zu erschöpfen, gab sie ihm Tag für Tag ein bisschen mehr Kraft.
    Gabriel und Bundó standen beide kurz vor ihrem siebzehnten Geburtstag, und ihre Körper ließen sie nie im Stich. Ihre angesammelte Muskulatur, elastisch wie Kautschuk, konnte es mit jeder Ladung aufnehmen. Und nicht nur physisch ging es bergauf mit ihnen, hinzu trat eine Leichtigkeit des Gemüts, die ihnen die Tage angenehm glatt machte. Zwar hatten sie das Alter der Unschuld hinter sich, doch zugleich waren sie noch nicht wirklich ins Alter des Kalküls eingetreten. Sie gingen nur mit Handgepäck durchs Leben, weder schleppten sie Überflüssiges mit sich herum, noch mangelte ihnen etwas Entscheidendes. Sie waren in dem Alter, das kein Alter ist und keinen Namen hat, und gut möglich, dass das Möbelschleppen, das Entleeren und Befüllen von Häusern, das Beladen des Anhängers mit all dem unnützen Krempel, den andere Leute ansammelten, sie immunisierte gegen die Versuchung, erwachsen zu werden, das erstbeste Mädchen zu heiraten, dem sie in die Falle gingen, und sich den ganz menschlichen Sorgen hinzugeben.
    Verstärkt wurde dieses Gefühl von Schwerelosigkeit nicht nur durch den Reiz des Neuen, sondern ebenso durch den Kontrast zu den Kollegen, denen die Arbeit längst eine lästige, einzwängende Routine war. Gabriel und Bundó hatten beide noch keinen Führerschein, waren ja viel zu jung, um ihn zu machen, also fuhren sie immer als Gehilfen eines der älteren Packer mit. Am Anfang ihrer Lehrzeit setzte der Chef sie nur bei Umzügen im Stadtgebiet von Barcelona ein, und dabei lernten sie nach und nach das ganze Team von La Ibérica kennen. Romero kam aus Murcia, drehte sich, während er steuerte, mit zirkusreifer Geschicklichkeit Zigaretten und hatte die Angewohnheit, ohne hinzuschauen aus dem Fenster zu spucken. Sebastià und Ricard Nogueró waren zwei Brüder aus dem Viertel Sants, die sich nicht leiden konnten und den ganzen Tag übereinander herzogen. Tembleque, ein Andalusier, der in Sant Adrià lebte, hatte in seiner Jugend als Torero geglänzt. Sirera und Brauli waren Espanyol-Fans. Fornido, der Kräftige, machte seinem Namen alle Ehre. Tartana und Petroli waren verschwägert und befreundet. Wenceslau, genannt Vences, wusste jede kleine Pause beim Möbelschleppen für ein Kartenspiel zu nutzen, und wir dürfen annehmen, dass er es war, der Gabriel das Tricksen beibrachte. Baltanás, Bruder eines hingerichteten FAI-Milizionärs, hatte seine Familie entehrt, indem er zu den Franquisten überlief. Deulofeu, wie Gabriel und Bundó in der Casa de la Caritat aufgewachsen, war im Heim verhasst gewesen, weil er alles den Nonnen petzte. Und dann gab es noch den Opa Cuniller, der jedes Mal plötzlich einen Hexenschuss hatte, wenn es eine Ladung treppauf zu tragen galt.
    Was für eine Galerie von Typen! Die Ältesten von ihnen dürften mittlerweile tot sein oder kurz vor dem letzten Umzug stehen, bei dem man nichts mehr zu schleppen hat außer dem, was man noch am Leib trägt. Neben Petroli, der nun bald in den Vordergrund treten wird, um mit den beiden Freunden Zehntausende von Kilometern auf den Überlandstraßen

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