Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
Vom Netzwerk:
führt. In den euphorischen Momenten, wenn die Daten zueinander passen, die Fakten sich ergänzen und die Aussagen übereinstimmen, haben wir das Gefühl, einem Geheimnis auf der Spur zu sein, ohne dass wir wüssten, welchem. Aber das kann auch eine Täuschung sein, vielleicht gibt es dieses Geheimnis gar nicht.
    Die Dinge verkomplizieren sich, sagen wir: Weil Gabriel und Bundó im Begriff sind, das namenlose Alter endgültig hinter sich zu lassen, und weil man ja weiß, dass nichts im Leben endgültig ist.
    »Sie schalten jetzt in den dritten Gang«, sagt Christof und scheint sehr stolz auf dieses Bild, doch wir erinnern ihn an unsere Abmachung, es mit Metaphern aus dem Straßenverkehr oder aus der Fahrschule nicht zu übertreiben.
    Fieberhaft blättern wir weiter im Kalender herum, wie ein herbstlicher Windstoß, der durch die Seiten fährt, und wir schlagen ein Blatt aus dem Oktober 1958 auf. Die Llars Mundet, früher Abend. Gabriel und Bundó kehren von einem langen Arbeitstag zurück. Beide schleppen inzwischen für La Ibérica. Der Umzug von heute war kurz, aber schlimm, einer von denen, die dich fertigmachen: von Sant Gervasi in ein finsteres Loch in der Ciutat Vella. Enge Gassen, bröckelige Treppen, winzige Zimmer. Eine Witwe und ihr nichtsnutziger Sohn, denen das Geld nicht mehr bis zum Monatsende reicht. Tränen. Und morgen geht die Mühle weiter. Die beiden Freunde haben sich oberflächlich gewaschen und den sauren Schweißgeruch in Duftwasser ertränkt. Sie liegen im Schlafsaal auf ihren Betten und warten auf die Essenszeit, da lässt Schwester Elvira sie in ihr Büro rufen. Auf dem Weg dorthin knurrt Bundós Magen so laut wie ein Löwe. Sie klopfen an und werden von der energischen Stimme der Oberin hineingerufen.
    Für uns öffnet sich eine weitere Tür.
    Schwester Elvira hob den Blick und verfolgte das Eintreten Gabriels und Bundós mit einem Anflug von Zärtlichkeit. Mehr als zehn Jahre lang hatte sie diese Burschen aufwachsen sehen, als wären sie ihre Kinder. Hatte sie gefüttert, als sie klein waren, hatte sie die erste Kommunion empfangen sehen, hatte sie, nur zu ihrem Besten, gescholten und bestraft. Wie sie die beiden nun betrachtete, blickte sie zugleich auf die Vergangenheit zurück, die behüteten Tage in der Casa de la Caritat, und in die Zukunft draußen, einen Dschungel voller gefährlicher Versuchungen. Die Augen wurden ihr feucht, so geschah es ihr immer in diesen Momenten. Sie riss sich zusammen, indem sie daran dachte, dass die beiden ja in der Firma ihres Bruders arbeiteten. Gewissermaßen blieb also alles in der Familie.
    »Ich habe euch rufen lassen«, begann sie, »weil ich zwei Nachrichten für euch habe. Eine gute und eine schlechte. Welche wollt ihr zuerst hören?«
    »Die schlechte!«, sagte Bundó, wobei er hoffte, sie würde zuerst mit der guten herausrücken.
    »Die gute!«, sagte gleichzeitig Gabriel und hoffte, die schlechte käme zuerst.
    Erst nach einer dramatischen Pause ergriff die Oberin wieder das Wort. Ihr Ton war feierlich.
    »Ihr seid groß geworden. Und die Zeit verfliegt. Nun seid ihr siebzehn Jahre alt, ihr seid erwachsen. Ich habe mit den Schwestern gesprochen, und wir haben entschieden, dass es für euch an der Zeit ist, eure Geschicke selbst in die Hand zu nehmen. Gott sei Dank habt ihr ja bereits Arbeit und werdet dafür auch entlohnt, nicht wahr? Nun müsst ihr lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Es gibt bedürftigere Kinder als euch, die auf unsere Zuwendung angewiesen sind. Bundó, Gabriel« – noch einmal machte sie eine Pause. »Zum Ende des Monats werdet ihr die Llars verlassen müssen. Dies ist die schlechte Nachricht.«
    Die Gesichter der beiden Freunde hatten zu strahlen begonnen, doch sie unterdrückten ihre Freude sofort wieder, als sie hörten, dass hier rauszukommen, von hier abhauen zu können, eine schlechte Nachricht sein sollte. Um Zeit zu gewinnen, sagte Bundó: »Sie haben recht, Schwester. Mir ist schon das Bett zu kurz geworden, meine Füße stehen über.«
    »Und die gute Nachricht?«, fragte Gabriel. Die darauf folgende Predigt der Oberin, reich garniert mit Anrufungen der Muttergottes, Stoßgebeten und Danksprüchen, überspringen wir hier. Die gute Nachricht war wirklich gut: Ihrer Kondition als Waisen wegen, vor allem aber dank der Fürsprache von Herrn Casellas, der einen Jugendfreund beim Generalkapitanat hatte, also einen Draht nach oben so dick wie ein Überseekabel, waren sie beide vom Militärdienst befreit. Im ersten

Weitere Kostenlose Bücher