Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
zu erkennen wussten), nahmen sie einen Umweg oder verfuhren sich absichtlich kurz vor dem Ziel. Mit der Rechtfertigung, dass sie Fahrpraxis sammeln mussten, steuerten sie Stadtteile mit besonders schwierigen Straßen an, wie etwa Sants oder Sant Andreu, wo sie sich beibrachten, mit dem DKW die engsten Kurven zu nehmen. Unangenehm wurde es nur, wenn sie bei dem Haus eintrafen, aus dem sie die Möbel räumen mussten. Tembleque war so tief in seinem Schlummer versunken, dass sie ihn selbst mit brutalsten Methoden nicht wach kriegten. Ganz gleich, ob sie ihn kitzelten, ihm ins Ohr schrien, es brenne im Laderaum, oder behaupteten, auf der Straße marschiere eine Kolonne nackter Frauen vorbei: Er machte keine Anstalten, zu sich zu kommen. Nein, seltsamerweise erwachte er immer erst, wenn Gabriel und Bundó schon mehr als die Hälfte der Fuhre im Laster hatten.
Nun, da wir Tembleque sorgfältig eingeordnet haben, wollen wir uns jenem Tag widmen, als Gabriel und Bundó unter seiner Aufsicht den ersten Koffer für sich behielten. Wir könnten es auch einen Raub nennen, aber uns gefällt dieser vorwurfsvolle Begriff nicht, und wir finden auch nicht, dass er uns zusteht. Der Koffer »verirrte sich«, um Gabriels Lieblingsausdruck zu gebrauchen. Oder er »ging verlustig«, so die offizielle Formulierung in den Berichten an Herrn Casellas. Wie auch immer, diese erste, fast unfreiwillige Beute vermerkte unser Vater noch in keinem Notizheft. Doch sie begründete eine Tradition, die den Freunden viele fröhliche Stunden bescheren sollte.
Wie bei den meisten Stammesriten üblich, weihte ein Lehrmeister die Neulinge ein, eben Tembleque. Der Ausgangspunkt des Umzugs lag in diesem Fall in Madrid. Ein leitender Angestellter des Geldinstituts Banco Zaragozano war in Ungnade gefallen und in die Zweigstelle nach Barcelona versetzt worden. Bei seiner Bleibe im erzwungenen Exil handelte es sich um eine Luxuswohnung in der Via Laietana mit hohen Decken und mit mehr Sälen als der Prado. Die drei Kollegen hatten den Laster in der Hauptstadt beladen, und bei Einbruch der Dämmerung machten sie sich, nach einem stärkenden Abendessen in einem Restaurant an der Landstraße Richtung Zaragoza, zudem versorgt mit den riesigen Adoquines -Bonbons aus Catalayud, wieder auf den Weg. Tembleque saß die ganze Nacht am Steuer, während Bundó und Gabriel neben ihm schliefen. Um sich wach zu halten, hörte er Radio, versuchte Stücke vom Riesenbonbon abzunagen und rauchte bei halb offenem Fenster seine Tres Caravelas. All das auf einmal. Als er auf der Kuppe des Coll de la Panadella angelangt war, verschwammen ihm die Straßenmarkierungen vor den Augen. Er hielt an und bat die beiden Freunde, ihn für eine Weile abzulösen. Er würde ein Nickerchen machen und wieder selbst ans Steuer gehen, wenn sie am Coll de l’Ordal wären.
Sie schafften es nicht, ihn zu wecken. Beim Fahren wechselten sie sich ab und konnten nur hoffen, dass keine Streife der Guardia Civil sie anhalten würde. Sie passierten l’Ordal, fuhren hinab in Richtung Martorell und nach Barcelona hinein, und am hellen Vormittag schalteten sie vor dem Gebäude in Via Laietana den Motor aus. Die ganze Zeit hatte Tembleque sich nicht geregt, hatte nur, als sie schon auf der Gran Via waren und an der Arena vorbeikamen, eine halbe Minute lang im Schlaf vor sich hin geschnaubt; und wäre nicht das leichte Auf und Ab seiner eingesunkenen Brust im Takt der Atemzüge gewesen, so hätte man ihn für tot halten können.
Er blieb noch mehrere Stunden in diesem Zustand, und als er dann aufwachte, war das Gröbste erledigt. Das Gebäude verfügte über einen soliden Lastenaufzug im Treppenhaus, mit dem Bundó und Gabriel die Möbel und sperrigen Stücke schon hochgeschafft hatten. Der unvermeidlichen Reihenfolgenumkehr wegen (das letzte Stück, das entladen wird, ist das erste, das eingeladen wurde) waren sie, als Tembleque dazukam, gerade dabei, die ganz vorn im Laderaum gestapelten Kartons hinaufzubringen. Dass der Andalusier erwacht war, merkten sie daran, dass neben ihnen, während sie einander mechanisch wie Schlafwandler eine Kiste nach der anderen weiterreichten, ein unaufhaltsamer Redeschwall losbrach. Zu jedem der Kartons ließ er einen Spruch ab.
»Diese Kisten riechen nach Geld, habt ihr das gemerkt?« Und er schnupperte.
»Schicke Wohnung, oder was? Man sieht schon, dass die hier auf großem Fuß leben. – Komm, Kleiner, streng dich ein bisschen mehr an. Als Belohnung erwartet uns ein
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