Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
»Was soll’n das, Barrabas«, »Veteranoooo, zwei Tropfen«. Unsere Musikgeschmäcker, völlig verschieden, widersprüchlich und so vulgär wie der Kassettenständer an der Tankstelle. Gabriels Kunst, egal wo man war, die Frequenz von Radio Exterior de España zu finden, wenn Fußball lief – vergleichbar nur mit Bundós Kunst, zu erkennen, was an der Maschine kaputt war, indem er das Ohr an die Motorhaube legte. Oder auch unsere unterschiedlichen Fahrstile. Bundó, mit untrüglichem Orientierungssinn, außerdem der Geschickteste in engen Straßen, saß am Steuer, wenn wir in die Städte rein- oder wieder rausfuhren. Wenn es auf eine Grenze zuging, übernahm Gabriel, denn er kam mit den Polizisten am besten klar. Seine Sprachkenntnisse ersparten uns da viele Missverständnisse und konnten die Inspektion der Ladung um Stunden verkürzen. Ich wiederum fuhr am liebsten die Nachtschicht, weil die Dunkelheit und die Eintönigkeit der weißen Streifen auf der Fahrbahn mich entspannten und ich dann gut nachdenken konnte. Gabriel, wo wir schon dabei sind, war der sicherste Fahrer von uns dreien. Anders als Bundó und ich, die wir uns leicht aufregten, schimpfte er nie laut am Steuer – er bewegte höchstens mal die Lippen, als würde er etwas lesen – und zahlte es auch den unverschämtesten Autofahrern nie mit der Monsterhupe heim. Er fuhr sanft und besonnen. Manchmal, um ihn zu provozieren, spielte Bundó den Zyniker und sagte: »Wenn wir eines Tages einen richtigen Unfall haben, so einen, bei dem man stirbt, dann möchte ich, dass du fährst, Gabriel. Du bist so aufmerksam und vorausschauend, dass du uns garantiert noch eine ganze Weile lassen wirst, um auf unser Leben zurückzublicken, ehe wir endgültig die Augen zumachen. Es heißt doch, in den letzten Sekunden läuft alles noch mal wie ein Film vor einem ab, oder? Also ich will, dass dieser Moment möglichst lang ist, damit auch wirklich alles reinpasst.«
Dann sah Gabriel ihn an, ohne ihn anzusehen, eigentlich wandte er den Blick gar nicht von der Straße ab, und schoss ganz lakonisch zurück: »Wie du in den Tag hineinlebst. Du Luftikus.«
7
C AROLINA, ODER M URIEL
Nummer 131. Barcelona – Landstraße bei Genf – Frankfurt. 3. Juli 1968.
Mit Mühe und Not – denn ein Sekretär des spanischen Konsulats in Frankfurt hatte den Auftrag, jede unserer Bewegungen zu kontrollieren, und tat das so gewissenhaft wie ein deutscher Schäferhund – haben wir einen verbeulten Karton abgezweigt, der halb leer schien. So eine lange Reise, mit erzwungenem Zwischenhalt in Genf, bei den Freunden von Herrn Casellas, und dann so eine magere Ausbeute. In der Kiste sind nur ein paar Spielsachen, verstaubt und voller Spinnweben. Vor langer Zeit dürften ein Junge und ein Mädchen, heute etwa dreizehn Jahre alt, verzogen und tollpatschig, damit gespielt haben; während wir den Umzug machten, langweilten sie sich zu Tode, wir mussten sie bitten, vom Sofa aufzustehen, damit wir es hinuntertragen konnten. Das hölzerne Kegelspiel bekommt Petroli, für seinen Neffen, wie er sagt. Ebenso eine Tüte voller Cowboys und Indianer und ein Fort, auch aus Holz. Bundó erhält einen Messingfrosch, unter der Auflage, ihn nicht in der Kabine quaken zu lassen. Außerdem eine Nancy-Puppe in der Uniform eines spanischen Soldaten (weiß der Himmel, was er damit vorhat). Ein Sammelalbum – vollständig – zum Film Die zehn Gebote werden Bundó und Gabriel Frau Rifà schenken, weil sie für Charlton Heston schwärmt. Gabriel nimmt ein offenbar unbenutztes Sheriffkostüm sowie eine Bauchredner-Handpuppe mit, die einen Varietékünstler darstellen soll, aber mit ihrem breitkrempigen Hut eher nach einem Gangster aus Chicago aussieht. Die Puppe hat ein Loch im Rücken und darin einen Hebel, mit dem man sie beim Sprechen den Mund auf- und zumachen lassen kann. Gabriel wird beides C. schenken.
Hinter diesem gezierten C., diesem Anflug von Scham bei unserm Vater – als wollte er uns vor seinen eigenen undurchsichtigen Machenschaften schützen –, verbarg sich Christof. Wegen gleichermaßen geografischer wie biografischer Nähe (was das Spielalter anging) war er der glückliche Empfänger von Kostüm und Bauchrednerpuppe. Während jenes blasierte Geschwisterpaar feststellte – falls es ihnen überhaupt auffiel –, dass ihr vergessenes Spielzeug abhandengekommen war, konnte in einem anderen Stadtteil von Frankfurt und in anderen Kreisen, aber keine zehn Kilometer entfernt, ein fünfjähriger Christof
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