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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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nicht.
    Was? Er habe sie nicht verstanden.
    Muriel arbeite heute nicht. Die Natur der Frauen, er verstehe schon.
    Die Welt brach für ihn zusammen. Mitleidig lächelte die Madame – sie kannte diese Art fataler Anhänglichkeit nur zu gut – und wies ihn auf die anderen Mädchen hin, die ihn erlösen könnten. Bundó sah sich mechanisch die Gesichter an, doch die einzige Wirkung war, dass er sich wie ein Tölpel fühlte. Er war in seiner Arbeitskleidung angereist, mit dem Anorak darüber, damit alles ganz natürlich aussah, und nun kam er sich in diesem Aufzug noch lächerlicher vor als ohnehin. Ohne den Whisky auszutrinken, den er bestellt hatte, wandte er sich ab und ging hinaus. Das rote Licht vor der Tür nieselte auf ihn herab wie ein Regen der Scham. Einen weiteren Wochenlohn hätte er bezahlt, um in diesem Moment unbeschadet wieder zu Hause zu sein und die ganze Farce aus seinem Gedächtnis streichen zu können, einschließlich Muriel. Da hörte er Absätze klappern, drehte sich um und sah sie die Außentreppe herabkommen, die zu ihrem Zimmer führte.
    Wir wollen es kurz machen. Wir erwähnen nur, dass Muriel Ringe unter den Augen hatte und nicht geschminkt war und dass Bundó sie schöner denn je fand. Diesmal wusste auch sie ihn gleich einzuordnen, Lausbubengesicht mit Pausbacken und Lockenschopf, der Fernfahrer aus Barcelona. Sie blieb auf halber Treppe stehen. Bundó, der sich gerade in Bewegung setzen wollte, hielt ebenfalls inne. Wie er später sagte, war er in dem Moment kurz davor, sich auf die Knie zu werfen und eine theatralische Liebeserklärung abzugeben, doch er ließ es bleiben, weil ihm dazu der Blumenstrauß fehlte. Ein Glück, dass er es bleiben ließ: Muriel erlebte solche Darbietungen immer mal wieder und pflegte dann kurzen Prozess zu machen. Für eine Prostituierte gibt es nichts Abscheulicheres als einen Kunden, der glaubt, sie locken oder läutern zu können, indem er ihr ein geordnetes Provinzleben verspricht.
    »Ich habe heute frei«, murmelte sie schließlich und stieg die restlichen Treppenstufen herab. »Aber wie wär’s, wenn du mich zum Essen einlädst? Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
    Schwer vorstellbar, dass es irgendwo auf der Welt an diesem Samstagabend zwei Menschen mit einem dringenderen Bedürfnis nach Zuneigung gab.
    Bundó führte Muriel zum Abendessen aus, so gut es ging. Da sie weder ein Auto noch einen Lkw hatten, blieb nur die Cafeteria der Tankstelle, zu der man fünf Minuten zu Fuß lief und wo man ganz anständige Croques Monsieur bekam. Während sie im Mondlicht am Rand der Landstraße gingen, hakte sie sich bei Bundó ein. Mit den Absätzen war sie größer als er. Sie schwiegen auf dem Weg, ihr Atem dampfte in der Kälte. Immer wenn ein Auto vorbeifuhr, blieben sie vorsichtshalber stehen, und sie schmiegte sich ein wenig an ihn. Für einen Augenblick beleuchteten die Scheinwerfer dann ein heimliches Liebespaar. Dieses einzelne Bild stellte die Zukunft dar, so, wie Bundó sie sehen wollte. Er konnte an nichts anderes denken, und trotz der Kälte lief ihm der Schweiß in Bächen hinab. Als Muriel spürte, dass sein Körper warm wie ein Ofen war, rückte sie ihm noch näher.
    Beim Essen spielten sie Katz und Maus. Bundó stellte ihr Fragen nach ihrem wirklichen Leben, Muriel antwortete ausweichend und wechselte das Thema. Eine Berufskrankheit; es hätte ein halbes Leben lang so weitergehen können. Doch schließlich bat sie ihn um den angekündigten Gefallen, und damit lichtete sich der Schleier ein wenig. Sie kam nicht umhin, ihm zu erzählen, dass sie eigentlich Carolina hieß und dass ihre Eltern seit einem knappen Jahr in Can Tunis lebten, am Rand von Barcelona. Der Gefallen sollte darin bestehen, ihnen einen Geldbetrag von ihr zu überbringen. Wenn sie Bundó nach ihr fragten, müsse er sie belügen, sowohl, was ihre Arbeit anging, als auch den Ort, an dem sie lebte. Über die Einzelheiten würden sie später reden. Bundó hörte zu und nickte, wobei er still für sich den Namen wiederholte: Carolina. Viel besser als Muriel, fand er. Es mochte ein gewöhnlicher und häufiger Vorname sein, aber für ihn klang er wie ein Kennwort, das ihm den Zugang zu einem kostbaren Geheimnis öffnete.
    Nun, da sie einmal angefangen hatte, sich der Last zu entledigen, hatte Carolina das Gefühl, freier atmen zu können. Sie ging ins Bad, betrachtete sich im Spiegel und fand ihr Gesicht verändert. Bundó bezahlte das Essen, sie kehrten ins Bordell zurück. Oben

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