Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
niemals Pläne für sie beide zusammen machen und auch nicht versuchen, sie von irgendetwas zu überzeugen. Sie und nur sie allein könne über ihre Zukunft entscheiden.
Und so verlegte sich Bundó auf eine andere, eher langfristige Strategie. Geduldig umgarnte er Carolina mit einem Netz aus lauter Aufmerksamkeiten, um ihr die Augen zu öffnen. Er verwöhnte sie mit sexueller Hingabe, überbrachte ihr Nachrichten von ihren Eltern (die er sich, wenn sie zu fade waren, nicht zu versüßen scheute), schenkte ihr, was er bei den Umzügen erbeutete. Und tatsächlich, mit jeder Begegnung gewährte sie ihm ein weiteres winziges Stück von ihrer Zukunft. Es geschah in vagen, beiläufigen Andeutungen, die unsereinem gar nicht aufgefallen wären, doch Bundó wusste sie als Signale zu verstehen, dass er weitermachen sollte.
Anfang 1969, als Carolinas Unentschlossenheit schon über drei Jahre währte, zahlte er die erste Rate für eine der Wohnungen, die in der Via Favència in Barcelona gebaut wurden, und er tat es in ihrer beider Namen. Ein Paukenschlag. Als er einige Zeit später die Schlüssel erhielt, verließ er Frau Rifàs Pension und zog dort alleine ein. Carolina begrüßte den Wechsel und begann vielleicht insgeheim Pläne zu schmieden, doch die Entscheidung zur Rückkehr fiel ihr sehr schwer.
Bevor Christophe sich mit ihr in der Brasserie traf, hatten wir Brüder uns öfter gefragt, ob sie Bundó wirklich liebte. Ohne dazu berechtigt zu sein, zogen wir ihre Motive in Zweifel. Und wir gestehen, dass diese Zweifel auch noch einige Tage über das Treffen hinaus anhielten. Die Dame Carolina, Mitte fünfzig, war nur mit einem Schutzschild aus Zynismus gewappnet in der Lage, sich an jene Zeit ihres Lebens zurückzuerinnern. Für uns aber war dieser Schutzschild ein Hindernis, und wir reisten mit einem unverschämten Gefühl der Frustration aus Paris ab. Drei Wochen später fischte Christophe den folgenden Brief aus seinem Kasten. Lest ihn und verdammt uns.
Mon cher Christophe,
nun ist es einige Wochen her, dass wir zusammen in Paris zu Mittag aßen, und kein Tag vergeht, ohne dass mich unser Treffen verfolgt. Ich hätte mich niemals darauf einlassen sollen. Ich sprach zu viel. Du schütteltest mir das Gedächtnis durch wie eine Schneekugel, und nun will der Schnee sich nicht wieder absetzen. Aber mach Dir deshalb keine Vorwürfe. In den letzten Tagen, als ich immer weiter grübelte, kam ich zu dem Schluss, dass alles eine Frage der Selbstverteidigung ist. Es fiel mir so unsagbar schwer, über Bundós Abwesenheit hinwegzukommen! Der einzige Ausweg, willkürlich und sinnwidrig, war, das Bordell so zu verlassen, wie ich es verließ. Nach einer Phase der Zurückgezogenheit in Paris sagte ich Ja zu einem Mann, der überzeugt war, dass er mich liebte, und zog mit ihm in die Provinz, in eine Stadt ohne Namen. Das Glück gibt es nicht wirklich, sondern bloß als Sehnsucht. Du kannst Dich Dein ganzes Leben lang danach verzehren und wirst immer noch nicht aufhören. Ich beschwere mich nicht. Ich habe mein Leben geändert, so, wie ich es getan hätte, wenn ich mit Bundó gegangen wäre. Es war die einzige Art, wie ich überleben konnte.
Nun, Christophe, vertraue ich Dir – vertraue ich Euch – etwas Intimes an, das mir den Schmerz eigentlich nehmen oder ihn zumindest lindern sollte. Viele Jahre sind vergangen, und doch ist es das Lebendigste, was mir von Bundó geblieben ist: Er war der einzige Mann, bei dem ich je Sex und Liebe verwechseln konnte. Verzeiht mir die Unverblümtheit. Die Franzosen sagen, der Orgasmus sei ein kleiner Tod. Ihm hingegen gelang es, mich jedes Mal, wenn wir uns trafen, kleine Geburten erleben zu lassen. Für ein paar Sekunden versetzte er mich zurück in jene perfekte, unantastbare Dunkelheit, in der Du noch nicht auf der Welt bist und noch niemand etwas von Dir erwartet.
Siehst Du? Jetzt wird es langsam wieder ruhig in der Schneekugel. Ich hatte mich zu heftig erschrocken. Der Schneesturm war doch nur ein Konfettiregen.
Richte Deiner Mutter bitte viele Grüße aus. Ach, Mireille: Sag ihr, dass ich oft an sie denke.
In der Hoffnung, dass Du und Deine Brüder mich verstehen, verabschiede ich mich für immer von Euch, mit einem Kuss, Eure Carolina.
PS: Es waren Deine Brüder, n’est-ce pas, diese drei Gabriels, die mich von der anderen Straßenseite aus anstarrten, als ich vor dem Restaurant ins Taxi stieg? Ihr seht Euch sehr ähnlich!
Oh, sie hat uns ertappt. Was sollen wir nun
Weitere Kostenlose Bücher