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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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gefaltetes Taschentuch in die Hand. Dann erklärte er mir, der kleine Schisshase sei zurück nach Hause gegangen. Er habe seine Familie so sehr vermisst.« Carolina lachte spöttisch. »Der Ärmste. Von ihm habe ich nie wieder etwas gehört und bin froh darüber. Ich habe die zwei Monate irgendwie herumgebracht. Die Frauen aus dem Dorf versuchten, mich zu trösten, aber daran erinnere ich mich kaum. Am Ende der Weinlese hatte ich ein bisschen Geld in der Tasche. Nicht viel, aber da ich es mir selbst verdient hatte, gab es mir ein Gefühl von Freiheit und Stolz, das mir zu Hause gefehlt hatte. Als der Bus wieder nach Spanien abfuhr, erschien ich nicht am Treffpunkt. Stattdessen ging ich in eine Konditorei und bestellte mir ein Stück Kuchen. Ich wollte mir wichtig vorkommen. Nach dem Kuchen rief ich meine Mutter an und sagte ihr, man hätte mir weitere Arbeit auf dem Land angeboten und ich würde erst zu Weihnachten wieder nach Barcelona kommen. Aber ich kam nicht zu Weihnachten. Einer von den Aufsehern bei der Lese hatte mich einem Freund aus Saint-Étienne vorgestellt. Der betrieb ein Bistro in Lyon und suchte noch Kellnerinnen.«
    Das angebliche Bistro und tatsächliche Landstraßenbordell trug den Namen Papillon, wegen irgendwelcher absurden erotischen Assoziationen, die in den Sechzigerjahren die Insektenkunde weckte und die wohl mit Einfangen und Aufspießen zu tun hatten. Die Ankunft der neuen Kokotte war in der Gegend ein echtes Ereignis. Fehlte nur noch, dass es in der Zeitung gestanden hätte. Geschminkt comme une poupée de cire – so, wie es die Madame verlangte –, in einem fließenden Kleid, das im rötlichen Licht noch durchsichtiger war, konnte sie ebenso gut als dreizehnjähriges Mädchen erscheinen, das mit dem plötzlichen Sprießen seines Körpers nicht gut zurechtkommt, wie als Hausfrau auf der Suche nach außerehelichen Freuden. In beiden Fällen mangelte es ihr nicht an Verehrern.
    »Muriel, ma belle, sont des mots qui vont très bien ensemble …«
    Chris kann es wieder einmal nicht lassen, seinen Senf dazuzugeben und sich dabei obendrein am Wortlaut des Beatles-Texts zu vergreifen.
    Bundó erfuhr Muriels wirklichen Namen bei der dritten Begegnung. Zum ersten Mal betrat er den Klub während des Umzugs Nummer 73 (Barcelona–Straßburg). Die drei Freunde hatten an dem Tag entladen und konnten sich vor Müdigkeit kaum mehr auf den Beinen halten. Als sie in die Nähe von Lyon kamen, dunkelte es, und ihrer Gesundheit zuliebe beschlossen sie, kurz hinter der Stadt, in Richtung Valence, über Nacht haltzumachen. Sie wollten sich eins der Motels suchen, die im Trucker-Reiseführer Guia europea de camioner expert aufgeführt waren. Gabriel, der gerade am Steuer saß, verließ sich immer auf die Städte mit halbwegs berühmten Fußballmannschaften. Bundó war, als die ersten Häuser in Sicht kamen, schon in seinem Sitz eingenickt, dennoch entging ihm der Neonschmetterling nicht, der in der Ferne glitzerte, und er bat Gabriel, dorthin zu fahren. Im Dunkel der Kabine strahlte er voller Zufriedenheit mit seinem Instinkt. Er konnte es nicht lassen. »Es kostet mich nicht viel mehr als ein Zimmer mit Frühstück, und wie ihr wisst, frühstücke ich nie. Ich ziehe es vor, mich abends gut zu sättigen. Ihr versteht schon.« So rechtfertigte er sich. Allerdings stimmte nicht, was er da redete; sein Hobby war deutlich teurer als ein Motelzimmer, und er konnte es nicht auf die Spesenrechnung setzen. Die beiden Freunde sagten trotzdem nie Nein. Er war ja alt genug. Sie machten aus, ihn am Morgen dort vor der Tür wieder aufzulesen, um fünf Uhr früh.
    Bundó trat ein. Es war ein Winterabend, die Bar des Lokals fast leer. Am Tresen lehnten ein halbes Dutzend gelangweilter Mädchen und zwei einsame Männer, die nur trinken wollten. Das rote Neonschild draußen an der Fassade war so hell, dass sein Licht, obwohl es nur durch Risse in der Tür und an abgeklebten Fensterscheiben vorbei hereindringen konnte, alles blutig tönte. Bei seinen späteren Besuchen studierte Bundó diesen Effekt bis zur Erschöpfung, wenn Muriel mit einem anderen Kunden oben war und zu lange brauchte. In dieser ersten Nacht aber hatte er nur Augen für Muriel; mit ihr wollte er aufs Zimmer gehen, eine Alternative hätte es nicht gegeben. Solche Dinge weiß man auf den ersten Blick, ohne zu überlegen.
    Wie mag, als sie dann oben waren, das Gespräch zwischen den beiden abgelaufen sein? Wir Christofs spielen gern.
    Bundó (während er Schuhe

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