Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
Vom Netzwerk:
betrifft, wissen wir ja schon, dass er Damen im fortgeschrittenen Alter bevorzugte, aber zu Prostituierten zu gehen und Geld dafür auszugeben schien ihm geschummelt. Seine Sache war der Flirt mit den Familienmüttern, auch wenn daraus oft kein großes Abenteuer wurde. Er selbst gibt zu, dass seine Fantasien dabei romanhaft, um nicht zu sagen irreal waren, aber schon der kleinste Erfolg befriedigte ihn so sehr, dass er sich dann tagelang wie ein Casanova fühlen konnte.«
    »Casanova? Petroli ein Casanova? Ma tu sei pazzo! Wie kannst du es wagen, den Mythos meines Landsmanns zu profanisieren?! Nicht einmal ich« – Cristoffini reckt seinen Hals und kneift entrüstet die Augen zu –, »ich, der ich unzählige Stunden in den Kleiderschränken oder unter den Betten unzähliger Ehefrauen verbracht habe, zitternd vor Angst, dass der gehörnte Gatte mich entdecken würde (und die gehörnten Italiener sind wahrlich Bestien), nicht einmal ich darf mich mit dem großen Giacomo vergleichen!«
    Christof lässt ihn schwätzen.
    »Achtet nicht auf ihn. Ihr versteht nun, warum ich ihn euch nicht früher vorgestellt habe, oder? Als großer Bruder ist er schlicht untragbar!« Christof droht in Rage zu geraten, merkt es aber selbst und fasst sich wieder. »Egal. Es ist nun mal seine Art, und mich kann er damit nicht provozieren. Was ich sagen wollte: Im Ausland verwandelte sich Petroli in eine Art Casanova, und seine Zuflucht war ein nostalgisches Ambiente. Aus welchen sentimentalen Gründen auch immer kam er nur zur Ruhe, wenn er unter Landsleuten war. Darum sammelte er, mit ähnlicher Besessenheit wie Bundó, seine Landstraßenharems, die Vereine und Treffpunkte spanischer Emigranten überall in Mitteleuropa. Erzählt hatte ihm davon ein Freund aus seiner Kindheit, der nach Süddeutschland gegangen war, um in einem Stahlwerk zu arbeiten. Ein paar Sommer lang hatte Petroli ihn noch getroffen, wenn beide in ihrem Dorf in Matarranya ihre Eltern besuchten, doch nach deren Tod hatte er ihn nie wiedergesehen. Jahre später kamen sie auf einer Umzugsfahrt in die Nähe des Orts, wo er nun lebte, und machten den Abstecher, damit Petroli bei ihm vorbeischauen konnte. Während Gabriel und Bundó im Laster blieben und Karten spielten, ließ er sich von dem Freund auf ein Glas Wein in den Hogar del Trabajador Español einladen. Der Freund zeigte ihm Fotos von seiner Frau und von seinen Kindern, die in Deutschland geboren waren. Da ihm die Übung fehlte, hatte sein Spanisch den heimischen Akzent verloren. Und obwohl sich das Gespräch die ganze halbe Stunde, die es dauerte, hart am Rand der Traurigkeit bewegte, versetzte es Petroli für den Rest der Reise in gute Laune. Von dem Tag an fing er an, sich, auch wenn er dort keinen Freund zu besuchen hatte, für diese Sammelbecken der Melancholie zu begeistern. Er ging trübsinnig hinein, lud seinen Kummer beim ersten Spanier ab, mit dem er ins Gespräch kam, und trat als ein neuer Mensch wieder heraus. Manchmal geriet er auch an eine emanzipierte Iberierin in Feierlaune und konnte seine Verführungskünste zur Geltung bringen. Und bald schon hätte er sie alle blind wiedergefunden, die Stammtische, Kaffeekränzchen und Kulturhäuser, wo sich die spanischen Gastarbeiter trafen. Erinnert ihr euch, was er uns gesagt hat? ›Diese Menschen, ihre Alltagssorgen, die Zähigkeit, mit der sie sich in der Fremde durchschlugen, die Heimwehattacken, gegen die sie machtlos waren – sie gaben mir das Gefühl, unter meinesgleichen zu sein. Der einzige Unterschied bestand darin, dass mein Kummer nicht stumm blieb und dass mein Gastland überall und nirgends war.‹ Petroli machte überall seine Runde, in den katalanischen und den galizischen Casals, in den Vereinen der Leute aus Extremadura oder denen der Aragonesen. Sie hießen Centro García Lorca, Hogar del Maño oder La Santa Espina, und sie fanden sich immer in einer ganz bestimmten Art von Industriestadt: Eindhoven, Mannheim, Reading, Béziers, Kaiserslautern. Fabriken und Schlote, billige Häuser, milchige Himmel.«
    »Oje, jetzt will er auf die Tränendrüse drücken. Dir selbst zuliebe, Christof, hoffe ich« – Cristoffini klopft auf eine Wölbung seines Jacketts in Höhe der Rippen –, »dass du hier nicht im Ernst mit dieser Leier anfängst, ¡Ay!, niemals werde ich die sonnenverbrannte Küste meines Landes wiedersehen … ¡Ay!, wie ich euch vermisse, Vögelein und Blumen meines Gartens … Wir sind uns ja einig, dass es für all diese Leute ein

Weitere Kostenlose Bücher