Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
suchen. Ein Nervenbündel war aus ihm geworden. Seit er mit Muriel zusammen war, ertrug er die Gesellschaft von Franzosen nicht mehr, in jedem von ihnen sah er einen potenziellen Kunden seiner Liebsten. Ein Elend. Man brauchte bloß über die Grenze zu fahren, schon wurde aus dem ersten Zollbeamten ein Verdächtiger.
»Wo steckst du denn? Dieser Fiesling ist nicht dumm, der riecht schon was.«
»Alles unter Kontrolle«, beruhigte ihn Gabriel. »Du lässt mich machen, wie immer. Wenn ich erhöhe, gehst du mit, auch wenn du nichts auf der Hand hast. Je mehr Geld da liegt, desto aufgeregter wird unser Freund. Den habe ich am Wickel.«
Monsieur Champion hatte es eilig, seinen Triumph zu vollenden, und verteilte wortlos die Karten. Ibrahim nahm seine ungeschickt auf, sodass eine zu Boden ging. Blitzschnell bückte er sich danach, nicht dass der Franzose wütend wurde. Ihn quälte der Gedanke an Sans Merci, der in seiner Box Qualen litt. Wenn er überhaupt noch am Leben war. Als alle schweigend ihr Blatt geordnet hatten, sog Monsieur Champion an seiner Zigarre und sagte, ohne von den Karten aufzublicken: »Was für ein langer Besuch im Bad, mon ami. Da haben Sie sich gewiss entspannt.«
»Meine Blase ist nicht groß«, erwiderte Gabriel seelenruhig, »und ich trinke zu viel Bier. Ich weiß nicht, wie man das auf Französisch sagt, aber ich denke, Sie haben mich verstanden.« Kurze Pause. »Bundó, du sagst an, ja?«
Die erste Runde diente zur Überleitung und ging an Ibrahim, aber mit magerer Ausbeute. Die vier folgenden teilten sich Gabriel und Bundó. Der Franzose blickte sie hasserfüllt an, aber dann ließen sie ihn eine fette Hand gewinnen, und er beruhigte sich. Erst bei der achten Partie griff Gabriel auf seine Falschkarten zurück. Da spielten sie schon wieder eine halbe Stunde, und er stellte fest, dass die Summe, die sie zurückgewonnen hatten, lächerlich war. Zwischen den Runden dachte er an Sarah und blickte auf die Uhr. Bald würde sie ihn im Krankenzimmer erwarten. Eile war geboten. Bundó verteilte die Karten, und ihm fielen zwei Asse zu, Herz und Karo. Sein Gefühl sagte ihm, das Kreuz-Ass war nicht gekommen. Beim ersten Tausch gab Monsieur Champion das Pik-Ass ab, was zeigte, dass er kein weiteres auf der Hand hatte. Unmerklich wie ein Illusionskünstler zog Gabriel die Karte aus seinem linken Ärmel. Er bot sehr hoch, die anderen gingen mit. Dann zeigten sie ihr Blatt. Gabriel spielte die drei Asse aus und kam damit durch. Der Franzose protestierte, machte aber keine Anstalten, den Kartenstapel durchzusehen. Von diesem Moment an gewann Gabriel weiter, ohne dass er noch einmal die Ärmelreserve nötig hatte. Er fühlte sich sicher, und ihm war ein gutes Blatt nach dem anderen beschieden. Das Glück lässt immer die Verzweifelten im Stich. Nach zwei weiteren Runden kehrte das Kreuz-Ass zu ihm zurück, und er schob es sich wieder ins Hemd. Um keinen Verdacht zu erregen, ließ er ab und zu Bundó gewinnen oder gab eine Runde an den Franzosen ab. Ibrahim spielte nur noch mechanisch, war geistig längst nicht mehr am Kartentisch. Und je mehr Runden und Minuten verstrichen, je mehr als Peseten verkleidete Francs auf die Seite der Fernfahrer überwechselten, desto auffälliger fand Gabriel die Reaktion Monsieur Champions: Er begann zu bluffen, und zwar zunehmend wahllos, bis er seine Karten gar nicht mehr anblickte. Er schien überzeugt, dass seine Gegenspieler ihn linken wollten, und versuchte sie aus dem Konzept zu bringen, indem er Könige und Damen zur Unzeit abwarf und willkürlich große Summen einsetzte. Er war verrückt geworden. Gabriel beobachtete sein Gesicht in diesem Zustand genau. Zu viele Zähne, dachte er. Du hast zu viele Zähne, außerdem sind sie zu weiß. Und auf einmal hatte er den Tick des Franzosen durchschaut. Jedes Mal, wenn er einen Bluff vorbereitete, machte er eine Grimasse, bei der er die Oberlippe hochzog und sein makelloses Gebiss zeigte; ein sarkastisches Lächeln in Marmor.
Während Bundó wieder einmal die Karten mischte, erschien Sarah mit dem Arzneiköfferchen in der Bar. Das Schiff schwankte inzwischen nicht mehr so stark, aber sie trat weiterhin auf Passagiere zu, die einen angeschlagenen Eindruck machten, und verabreichte ihnen Pillen. Auch dem Shakespeare-Schauspieler gab sie eine, und er schleuderte ihr ein paar Verse entgegen, ehe er sie schluckte. Gabriel bewunderte Sarah von fern. Mit einer geradezu kindlichen Leichtfüßigkeit sprang sie auf der Fähre umher,
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