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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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de dieu !«
    Also spielten sie noch zwei Runden, die beide Gabriel gewann. Mit der Ärmelreserve. Bei der zweiten hatte ihn Ibrahim ertappt, wie er das Ass hervorzog, hatte aber nichts gesagt, weil er darauf brannte, dass das Spiel endlich vorbei wäre und er hinunter zu Sans Merci könnte. Nun blieb ihnen nicht ein einziger Franc. Bundó ordnete die Karten, um sie zurück ins Etui zu packen.
    »Eine letzte Runde. Alles oder nichts«, sagte Monsieur Champion. Seine Verzweiflung war nicht finanziell begründet, sondern in Eigenliebe. Es war ihm unerträglich, abermals gegen die spanischen Fernfahrer zu verlieren.
    Und da stellte Gabriel die Frage, ohne zu ahnen, was er damit auslösen würde.
    »Sie haben doch nichts mehr – wollen Sie etwa Ihr Pferd verspielen?«
    Der Franzose wiegte den Kopf hin und her und überlegte vier endlose Sekunden lang.
    »Oui.«
    »Non, non, non, jamais! Sur mon cadavre!«, schrie Ibrahim. Er war außer sich.
    »Halt du die Klappe. Hier bestimme ich.«
    Ibrahims Reaktion war für alle ein Schock. Normalerweise hätte er nichts Lautes gesagt, allenfalls mit zusammengepressten Zähnen vor sich hin geschimpft, aber diesmal war sein Herr zu weit gegangen. Ibrahim schnellte hoch, sprang über den Tisch und warf sich auf den Franzosen. Beide gingen zu Boden. Ein Stuhl splitterte. Die Karten flogen durch die Luft, und die Münzen, die Bundó noch nicht eingesammelt hatte, rollten in alle Richtungen. Ibrahim saß nun auf Monsieur Champions Brust und schlug ihm ins Gesicht. Es waren kindische Ohrfeigen, die laut klatschten und sonst nicht viel anrichteten, aber Monsieur Champion gab sich ihnen mit wohltönendem Schluchzen hin. Man konnte meinen, er finde Gefallen daran und es sei für beide nicht das erste Mal.
    Gabriel packte Ibrahim unter den Achseln und zog ihn von dem Franzosen weg, der liegen blieb und sein Gesicht mit den Händen bedeckte. Vom Geschrei angelockt, hatten sich die Passagiere und ein Teil der Besatzung in der Bar versammelt. Der Schauspieler dröhnte aus vollem Hals: »Fury, Fury! There, Tyrant, there! Hark! Hark!«
    Sarah kam mit dem Notfallköfferchen an, für den Fall, dass es Verletzte gab. Bundó, der weiter Geld zählte, zog sich aus dem Getümmel an ein Fenster zurück. Er warf einen Blick hinaus, um zu sehen, ob das Meer sich beruhigt hatte – die Fähre schwankte kaum noch –, und da bot sich ihm ein unfassbares, ein übernatürliches Bild, das er hernach unzählige Male voller Bewunderung schildern würde. Auf dem breiten unteren Deck ritt ein splitternacktes Mädchen auf einem Pferd, in solchem Tempo, dass Ross und Reiterin sich gar nicht an Bord zu befinden, sondern über die Wellen zu fliegen schienen.
    Anna klammerte sich an der Flanke des Pferdes fest, das keinen Sattel trug, nur den Zaum, den sie ihm angelegt hatten. Sans Merci trabte bloß, doch mit dem Meeresblau als Hintergrund sah es aus, als wären die beiden im gestreckten Galopp unterwegs. Bundó hatte zunächst vor allem auf die kleinen, festen Brüste des Mädchens geachtet, und erst als er ihr nun ins Gesicht blickte, erkannte er sie.
    »Verdammt! Verdammte Scheiße! Gabriel! Das ist Anna da draußen! Auf einem rennenden Pferd! Sie bringt sich um!«
    Auch wenn niemand verstand, was er sagte, wandte sich die allgemeine Aufmerksamkeit dem Fenster zu. Alle Passagiere kamen gelaufen und starrten wie hypnotisiert auf das Mädchen und den Hengst. Jemand bemerkte, es müsse sich um eine Reinkarnation von Lady Godiva handeln.
    Sobald er das Wort Pferd gehört hatte, riss Ibrahim sich aus Gabriels Griff los, spuckte über dem liegenden Monsieur Champion aus und hastete die Treppe hinunter zum Deck. Sarah lief ihm hinterher. Und das Publikum an den Fenstern der Bar durfte noch ein weiteres großartiges Schauspiel erleben. An Deck erschienen plötzlich Ludovic und Raymond und tanzten nackt zu einer keltischen Melodie, die sie selbst improvisierten. Unklar blieb, ob sie dabei Anna und das Pferd verfolgten oder verherrlichten. Die Erektion blühte ihnen noch immer zwischen den Beinen.
    An Tagen, wenn es mir nicht gut geht, Christofs, oder wenn ich zu hartnäckig an meinen Fingerspitzen schnuppere, suche ich Zuflucht bei diesem Bild von der nackten Amazone, die auf einem Rennpferd über ein Schiff reitet. Es hat die Reinheit der angeeigneten Erinnerungen, die dir helfen, dich zu vervollständigen, und dir den Tag retten können, dir aber nie wehtun, weil du sie ja eigentlich nicht selbst erlebt hast. Seit meine

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