Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
brauchte man nicht um des Redens willen zu reden. Da gewöhnten sie sich erst einmal wieder an die Sitze und an die Straße, blickten hinaus in die Landschaft, die die gleiche war wie jedes Mal, und wenn sie doch einen Unterschied feststellten, machten sie eine kurze Bemerkung dazu und schwiegen dann wieder.
»Diese Reklame, Visitez la Camargue, war die früher schon da?«
»Ich würde sagen, ja.«
»Ist mir nie aufgefallen.«
»Vielleicht auch nicht. Ich würd’s nicht beschwören.«
»Das Schild sieht nicht gerade neu aus.«
»Visitez la Camargue …«
Als sie eben Valence hinter sich gelassen hatten, fuhr Bundó mit einem Ruck aus dem Schlaf. Am Morgen hatten sie vereinbart, dass sie an der Schnellstraße nach Lyon einen Frühstückshalt einlegen würden – für ein Gabelfrühstück – und er die Zeit für eine keusche Begegnung mit Carolina-Muriel nutzen könne.
»Wo sind wir?«, fragte er hastig, während er sich die Augen rieb. Die anderen lachten über sein erschrockenes Gesicht.
»Wir sind schon hinter Lyon, sogar schon hinter Dijon«, sagte Petroli. »Carolina hat gesagt, ich soll dich grüßen.«
Verschlafen wie er war, brauchte Bundó einige hundert Meter, um zu reagieren. Da sah er am Straßenrand ein Schild »Lyon 20 km«.
»Ihr platzt beide vor Neid.«
Erleichtert holte er den gemeinsamen Kulturbeutel aus dem Handschuhfach, den sie mit Produkten aus ihrer Diebesbeute füllten, und begann sich herauszuputzen. Er fuhr mit dem Kamm durch sein aufsässiges Haar, sprühte sich Deo unter die Achseln, benetzte sich mit ein paar Tropfen teuren Eau de Cologne und zog zum Schluss ein nagelneues Hemd an, aus Popeline, wie es gerade in Mode war. Bundó genoss die Prozedur, weil er überzeugt war, dass den beiden anderen das Wasser im Mund zusammenlief. Doch er erinnerte sie in solchen Momenten mit seinem Lockenkopf und seinen nervösen Grimassen vor dem Handspiegel an Harpo Marx.
An diesem Tag warf er sich besonders feierlich in Schale, denn er hatte eine Überraschung für Carolina parat. Ein paar Tage zuvor, als er den Wochenlohn auf sein Konto bei der Bank Monte de Piedad de Barcelona einzahlen wollte, hatte ihn der Filialleiter zu sich gerufen und ihm von einer besonderen Offerte staatlich geförderter Wohnungen in der Via Favència erzählt. Nun trug er einen Prospekt mit Grundrissen und mit Fotos aus dem Stadtviertel bei sich, außerdem ein Blatt mit der Kalkulation, die sie ihm in der Bank angefertigt hatten. Die Bedingungen waren so günstig, dass er fest zum Kauf entschlossen war, es fehlte ihm nur noch ein bisschen Aufmunterung – und ohne es ihr zu sagen, würde er die Wohnung auch auf ihren Namen anmelden.
Carolina wartete schon draußen, als sie vor dem Papillon hielten. Bei Tageslicht, ohne Neonglanz und ohne den Parkplatz voller Autos, sah das Gebäude so heruntergekommen und mürbe aus, als müsste es beim nächsten Windstoß in sich zusammenfallen. Fünf Stunden war es her, dass Carolina den letzten Kunden hinausgeworfen hatte, und wie sie nun dastand, starr und müde, passte sie schmerzhaft gut ins Bild. Bundó stieg mit puddingweichen Knien aus dem Pegaso. Gabriel und Petroli begrüßten Carolina und ehe sie zum Tankstellenrestaurant weiterfuhren, erinnerten sie den Freund noch einmal daran, dass sie exakt fünfzig Minuten später wieder zurück wären. Im Rückspiegel besah sich Gabriel das zittrige Bild des Paars, das sich eng umschlungen hielt.
Wenn ich mich damit aufhalte, diese Momente zu beschreiben, Christofs, dann nicht, weil sie in irgendeiner besonderen Weise auf die anstehenden Ereignisse vorausdeuten, sondern ganz im Gegenteil: weil sie es eben nicht tun. Sie sind bloß zufällige Umstände. Ich gebe sie so wieder, wie meine Mutter sie mir (und Gabriel sie ihr) erzählt hat, mit dem ganzen Gewicht ihrer Trivialität. Das hebe ich gern hervor, denn diese Art von Widersprüchlichkeit, Brüderlein, ist ja gewissermaßen unser Erbteil. Während die Studenten in einer Kommune in Paris Molotowcocktails basteln, machen drei Fernfahrer an einer Landstraße halt, um eine Prostituierte zu besuchen. Das Leben ist seltsam.
Eine Stunde später ließ die Hupe des Pegaso jenen Winkel der Welt erzittern. Die Tür des Obergeschosses tat sich auf, heraus traten Bundó und Carolina. Die Verabschiedung fiel kürzer und mechanischer aus als sonst. Carolina winkte ihnen vom Treppenabsatz zu, es war ein schlaffes Winken. In der Kabine gab Bundó sich wie üblich zugeknöpft und sagte
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