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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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erpresserischer Stimme sagten, dass sie mich vermissten. Geh zum Studieren nach Paris, hieß das, aber dann komm wieder heim, damit wir hier alle stolz sein können. Ich weiß nicht mehr, ob ich in jener Nacht geweint habe … Quatsch, was rede ich? Natürlich weiß ich es noch, natürlich habe ich geweint, zuerst wütend ins Kissen geschluchzt, später richtig geheult, ausdauernd und harmonisch, als sollte ein Wiegenlied draus werden, und am Ende bin ich darüber eingeschlafen.«
    Zur Untermalung schloss sie für einen Moment die Augen, und als sie sie wieder öffnete, fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen.
    »Ich habe vom vielen Schwätzen schon einen trockenen Mund. Bringst du mir ein Bier? Im Kühlschrank steht welches.«
    Ich holte Bier für uns beide, und sie sprach weiter.
    »Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war mir schlecht. Alles um mich schien sich zu drehen, ich kam mir vor wie bei einem Erdbeben. Irgendwie gelang es mir, mich anzuziehen, und ohne Frühstück brach ich zur Uni auf. Das schreckliche Gefühl dauerte an, als ich durch die Straßen lief. Zudem war es ein eiskalter Wintertag, so einer, an dem der Wind den Fluss kräuselt und dir wie tausend Nadeln ins Gesicht sticht. Beim Gehen spürte ich meine Füße gar nicht. Da entschied mein Körper, dass ich den Kurs schwänzte, und ich trat in ein Café. Ich setzte mich in eine Ecke, bestellte einen Milchkaffee, um wieder zu mir zu kommen, und zog ein Buch aus der Tasche, keine Ahnung, welches, es ist unwichtig. Die Aussicht, den ganzen Tag an diesem Ort zu verbringen, lesend und rauchend (mit dem Rauchen hatte ich zwei Monate vorher angefangen), beruhigte mich in einer ungekannten Weise. Ich war vielleicht zwei Stunden dort gewesen, vertieft, da trat ein Mädchen auf mich zu und fragte: Warst du nicht gestern auf der Versammlung? Anscheinend befand ich mich in einer Art Dämmerzustand, denn ich reagierte erst, als sie die Frage wiederholte. ›Entschuldigung. Ich heiße Justine. Warst du nicht gestern auf der Versammlung?‹ Ich erkannte ihr Gesicht, sie war eine der wenigen Frauen, die in dem Saal auch etwas gesagt hatten, und mich hatte dabei ihre Ernsthaftigkeit beeindruckt und wie sie es schaffte, sich nicht unterbrechen zu lassen. Ja, sagte ich, ich war dabei und ob sie sich vielleicht zu mir setzen wolle. Dann tranken wir zusammen Kaffee, aßen etwas und redeten, bis es dunkel war. Na ja, ich redete, sie hörte zu. Gerade weil ich sie nicht kannte und wir im selben Alter waren, fiel es mir so leicht. Ich ließ alles raus: von meiner Wut auf die Erstarrung meiner Eltern bis zum Bedürfnis, gewaltsam gegen diese Scheißgesellschaft vorzugehen, damit uns nicht das Gleiche passierte wie ihnen. Wir mussten den Lauf der Geschichte ändern! Ich hörte mich Schlagworte vom Vorabend wiederholen, und wie sie nun aus meinem eigenen Mund kamen, gaben sie mir Sicherheit. Justine, die auch nicht aus Paris war, stimmte mir energisch zu und ermunterte mich zum Weiterreden. ›Unsere Eltern sind lebendige Tote‹, sagte sie: ›Dies hier ist ein Land der lebendigen Toten. Gibt es etwas Monströseres als die tägliche Prozession der Tapferkeitsmedaillen? Geh raus aus dieser Stadt oder auch nur aus diesem Viertel, und du triffst überall dasselbe an: lauter Frühvergreiste, die arbeiten wie die Tiere und dann am Sonntag im Park ihre Kriegsorden spazieren führen. Wenn denen ihr Haus überschwemmt würde, wären das Erste, was sie in Sicherheit brächten, noch vor ihrer Frau, ihren Kindern oder ihren Enkeln, diese Scheißmedaillen …‹ Ich weiß, die spontane Begeisterungsfähigkeit zählt zu den Stärken der Jugend oder zu ihren Schwächen, wie du willst, und oft ist sie bloß eine Illusion. Aber die Übereinstimmung mit Justine war absolut. Als wir uns zum Abschied die zwei Küsschen gaben, fühlte es sich an, als würden wir uns schon unser ganzes Leben lang kennen. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag am selben Ort.«
    Mireille machte eine Pause. Sie wirkte müde, also bot ich ihr an, ein andermal weiterzumachen.
    »Was sagst du da? Jetzt kommt doch das Beste! In der Woche trafen wir uns dann jeden Tag und erzählten uns unser ganzes Leben. So gewann unsere Freundschaft an Substanz, wie zwei Strähnen, die sich zu einem Zopf verflochten. Am Freitag überredete sie mich, die Pension zu verlassen und mit ihr zusammenzuziehen. Justine wohnte mitten im Eigelb, im fünften Arrondissement, Place de la Contrescarpe, in einem Haus mit billigen

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