Die italienischen Momente im Leben
(damals war Rauchen noch überall erlaubt) und das Reklameschild mit der Blondine, die augenzwinkernd zum Biertrinken animierte. Die Jukebox mit ihrem »Hundert Lire für drei Lieder« war meine einzige Gesellschaft. Giovannona, die schöne Kassiererin an der Bar, saß immer dort und beobachtete mich. O Gott, sie war wirklich außergewöhnlich schön! Ihre »Großzügigkeit« und der Reiz ihrer besten Jahre verdrehten allen Männern am Strand den Kopf. Ihre Brüste hatten geradezu erschreckende Ausmaße. Ich senkte die Augen in der Hoffnung, sie würde sich vorbeugen, wenn sie mir das Wechselgeld gab, nur so … um die Ballerina zu bewundern, die an einer Halskette auf diesem begnadeten Balkon tanzte. Nach Tozzi hatte ich noch zwei Lieder frei. Und ich wusste, dass Giovannona Don’t let me be misunderstood von den Santa Esmeralda und vor allem Amarsi un po’ von Lucio Battisti gefielen: also wählte ich A20 und C19.
Vor dem Schwarzen Brett war immer noch ein ziemlicher Auftrieb, und es wurde wirklich Zeit für mich, nach Hause zu gehen und meinen Eltern das gute Ergebnis zu verkünden. Unter den Arm hatte ich mir Donatellos Prospekt von Rimini geklemmt. Aus reiner Neugier warf ich einen Blick hinein. Die Überschrift erweckte mein Interesse: »Neun Dinge, die du nur in Rimini tun kannst.« Und was waren diese neun Dinge? (Ich schwöre, es waren wirklich neun und nicht zehn): 1. Hier gibt’s die beste Piadina der ganzen Romagna, das dick belegte Fladenbrotwird bei uns noch mit echtem Schweineschmalz gemacht. 2. Du kannst mit vielen jungen Leuten aus anderen Ländern Freundschaft schließen. 3. Zum Tanzen musst du kein Vermögen ausgeben, die Preise in den Diskotheken sind äußerst moderat. 4. Wenn du unter zwanzig bist, hast du freien Eintritt ins Strandbad. 5. Riccione und Cattolica, die anderen angesagten Küstenorte, sind nur einen Katzensprung entfernt. 6. Mit dem Fahrrad bist du in zehn Minuten in Mirabilandia, dem größten Freizeitpark von Italien. 7. Nach einer durchtanzten Nacht kannst du dein Frühstück am Meer genießen. 8. Wenn du von Italien genug hast, liegt San Marino gleich um die Ecke. 9. Wenn du Motorsportfan bist, kannst du die Rennstrecke von Misano Adriatico besuchen.
Donatello hatte mich überzeugt. Rimini war genau das Richtige.
Strandbad 55 war immer gesteckt voll, vor allem junge Leute wie wir, die jeden Tag erst spät kamen. Der Bademeister sagte zu uns: » Ho finì umbrillun e i lettin, an so cun cafè «, was so viel heißen sollte, wie, er hätte keine Sonnenschirme oder Liegen mehr, da wäre nichts zu machen. Seine Frau Tilde war immer wütend auf uns, weil wir zu viel Wasser am Brunnen und beim Duschen verbrauchten. Das Bad war eine typische Einrichtung der Siebzigerjahre. Außer einer Bar gab es noch einen Bocciaplatz, einen Flipperautomaten und eine Ruderbootvermietung, wo die Boote immer schon reserviert waren und die Leute ordentlich Schlange standen, bis sie an die Reihe kamen. Wir dagegen enterten einfach eines, wenn wir mit irgendeiner neuen Eroberung eine Runde auf dem offenen Meer drehen wollten. In diesem Jahr waren wirklich viele Ausländer in Rimini, vor allem so viele hübsche Mädchen aus Deutschland und Skandinavien, denen wir hinterherschauten. Das Meer war blitzsauber, und man konnte sogar – wollte man Donatello glauben – Delfine sehen. Um die Mittagszeit sammelten wir uns alle im Wasser: Bei sovielen Leuten kam der Rettungsschwimmer kaum mit seinem Boot durch, um die Lage unter Kontrolle zu behalten. Die einzigen fliegenden Händler waren der Eisverkäufer mit seiner Kühltasche, die er über der Schulter trug, und der Fotograf mit seinem vollbepackten Wagen und den lebenden Papageien. Ihre Geschäfte liefen gut, auch weil sie so wenig Konkurrenz hatten (damals gab es hier noch keine Spur von den Vu cumprà , den afrikanischen Straßenhändlern). Nach dem Bad im Meer verabredeten wir uns am Kiosk von Gina a magnè la saragina , um dort die kleinen bläulichen Sardinen zu essen, die es so nur an der Küste der Romagna gab. Und als Verdauungsspaziergang drehten wir eine Runde über die Mole, um den anderen Jungs bei ihren gewagten Sprüngen ins Meer zuzusehen.
Karin gefiel mir sehr gut, nicht etwa deshalb, weil sie die Einzige war, die mich beachtete, sondern weil sie mich an dieses Model aus der Werbung erinnerte: blond, attraktiv, überschäumend. Von uns vieren konnte sich Donatello am besten verständigen. Er beherrschte mindestens zwanzig oder dreißig
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