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Die italienischen Momente im Leben

Die italienischen Momente im Leben

Titel: Die italienischen Momente im Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Maccallini
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Fettleibigkeit seiner Frau und die »Fernsehsucht und daraus folgende Trägheit« seines Sohnes verantwortlich sei. Als Gründe führte das vorgebliche Opfer an: »Ich trinke und rauche sehr viel, und meine Frau ist fettleibig, weil wir seit ungefähr vier Jahren jeden Tag fernsehen.« Mein Vater, der die Verteidigung des Senders übernommen hatte, musste sich allerdings nicht allzu sehr ins Zeug legen, damit der Fall ad acta gelegt wurde.
    Oder da war die Frau, die ohne Einwilligung ihres Geliebten beim Sex eine exotische Stellung eingenommen hatte und ihm dabei den Penis brach. Auch diesen Fall legte der Richter zu den Akten und befand auf bloße Unachtsamkeit. Mein Vater konnte sogar beweisen, dass die Frau nur in treuem Glauben gehandelt hatte (er verriet mir allerdings nicht, wie das gemeint war).
    Die unwahrscheinlichsten Fälle kamen allerdings nicht ihm persönlich unter, sondern seinen Kollegen. Wie zum Beispiel die Schadenersatzklage über eine Milliarde Lire, die eine Astrologin gegen die NASA anstrengte, weil diese mit ihren Raketen das »Gleichgewicht des Universums« zerstört haben soll (im Nachhinein betrachtet hatte die Astrologin vielleicht gar nicht mal so unrecht). Oder jener Mann, der seine Seele per Kleinanzeige zum Verkauf angeboten hatte und dann bei Gericht über deren rechtmäßigen Besitz streiten musste. Aber mein absoluter Favorit ist immer noch der alte Mann, der seine Heimatstadt verklagte: Als er in einer öffentlichen Toilette sein Bedürfnis verrichtete, sei unter ihm die Schüssel explodiert, was bei ihm zu »schmerzhaften Verletzungen und unangenehmen Dysfunktionen« geführt hätte.
    Es ist ein schwarzer Freitag im Jahr 1974. Heute ist alles schiefgegangen.
    Um es kurz zu machen: Der Richter hat die nächste Sitzung im Zivilprozess von heute Morgen auf 9.30 Uhr am 25. März 1983 anberaumt. Eine Vertagung von sage und schreibe neun Jahren. Sie finden das witzig? Warten Sie, das Beste kommt noch: Die Hauptbetroffene in der Streitsache ist 98 Jahre alt. Sie wird bestimmt alles daransetzen und versuchen, an diesem Tag ja pünktlich um halb zehn zu erscheinen. Aber höchstwahrscheinlich ist sie längst tot. Nur Woody Allen in Höchstform könnte sich so etwas ausdenken.
    »Wie ist so etwas möglich, Papa?«
    »Personalmangel! Und wenn du noch einrechnest, dass ein Zivilprozess in Italien durchschnittlich sieben Jahre dauert, dann muss die gute Frau bis 1990 auf ein Urteil warten. Dann wäre sie also 114! So etwas kann es auch nur in Italien geben …«
    Nun begreife ich, warum dieser Beruf nichts für mich ist. Die arme Frau, geboren 1876, wird das Ende ihres Prozesses bestimmt nicht mehr erleben. Stellen Sie sich vor, da hat sie den Ersten Weltkrieg durchgemacht, den Faschismus, den Zweiten Weltkrieg, die Befreiung und den Wiederaufbau, nur um so kurz vor dem Ziel von einem Richter zu Fall gebracht zu werden?
    »Denk nicht weiter darüber nach, Papa, aber wenn ich groß bin, möchte ich doch nicht Anwalt werden. Heute ist mir die Lust darauf vergangen. Muss man hier in L’Aquila etwa 99 Jahre auf einen Prozess warten?«
    ~ ~ ~
    Am 6. April 2009 erschütterte um 3.32 Uhr ein starkes Erdbeben von der Stärke 5,8 auf der Richterskala die Stadt L’Aquila und Umgebung. Es gab 308 Tote, 1600 Verletzte und einen Schaden von geschätzt über zehn Milliarden Euro.
    Am 9. Mai desselben Jahres kehre ich nach L’Aquila zurück beziehungsweise zu dem, was noch davon übrig ist. Die Stadt ist leer und abgesperrt, die Menschen leben in Containern.
    Die historische Altstadt sieht aus wie nach einem Bombenangriff. Drei Orte möchte ich aufsuchen: die Basilika von Collemaggio, die Eisdiele am Corso Emmanuele und das Gericht. Alle drei sind stark beschädigt, zum Teil eingestürzt und geschlossen. Hier enden meine Erinnerungen.

15.
    BAGNO VIGNONI | VAL D’ORICA
    2004
    An diesem Morgen habe ich mich im Außenbereich des Spa mit Panoramablick auf die Hügel der Toskana gefragt, wie viele außer dem Bademeister, der eindeutig unter zwanzig ist, vor ihrem Besuch hier zu Hause mal in den Spiegel geschaut haben, wie gut ihre Badekleidung noch sitzt – gar keiner, fürchte ich, wobei ich mich davon nicht ausnehme. Die Männer, fast alle verheiratet, mögen hinter ihrem Schreibtisch oder in ihren komfortablen Luxuskarossen einen gewissen Charme entwickeln, vielleicht reicht er sogar, sexuelle Phantasien bei über dreißig-vierzig-fünfzigjährigen weiblichen Singles zu wecken, aber hier, so im Wasser

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