Die italienischen Momente im Leben
Wenn man hier ankommt, ist es, als würde man eine Zeitgrenze überwinden, alles hinter sich lassen und eine von unserer Gegenwart vollkommen losgelöste Wirklichkeit erleben.
Ich gehe an den Beckenrand und lasse die Füße baumeln. Die heiße feuchte Wärme senkt sich über mich. Ich halte den Atem an und schließe die Augen. Ganz langsam öffne ich sie wieder und versuche, etwas im Halbdunkel zu erkennen. Da ist eine Frau, sie lehnt an einer Säule und hält sich mit einer Hand den Bauch. Sie wirkt wie eine richtige römische Matrone, ich könnte nicht schätzen, wie alt sie ist. Zwei andere Frauen sitzen auf einer Marmorstufe und unterhalten sich flüsternd, ungeniert ob ihrer Nacktheit. Langsam lasse ich mich ins Wasser gleiten. Vorsichtig gehe ich durchs Becken und versuche, mit niemandem zusammenzustoßen. Rosa schimmert die Spiegelung der Wand aus Himalajasalz in einer Nische, hier lasse nun auch ich mich wie ein »toter Mann« treiben. Endlich beginne ich, mich mit Leib und Seele zu entspannen.
Plötzlich flüstert mir jemand ins Ohr:
»Und wenn man bedenkt, dass sich in einer solchen Grotte eines der größten Beziehungsdramen aller Zeiten abspielte …«
Erschrocken richte ich mich auf.
»Wer spricht da? Haben Sie mich gemeint?«
»Und es ging nicht einmal um Untreue. So wurde es zumindest überliefert …«
Ich erkenne die Frau wieder, sie hatte dort an der Säule gelehnt, und nähere mich ihr ein wenig. Sie reicht mir eine dunkle, beinahe schwarze Seife, die stark nach Olivenöl riecht.
»Nehmen Sie … das regt den Kreislauf an. Tatsache ist, dass sie dieser Mann nicht im Geringsten interessierte … reiben Sie damit Ihre Arme und Beine ein …«
Mir bricht der Schweiß aus.
»Ein dünkelhafter Senator, der sie wegen ihrer Mitgift vom Vater gekauft hatte. Er liebte sie auch nicht, es ging nur um Geld. Vielleicht lief da am Anfang tatsächlich etwas, der Reiz des Neuen … Aber dann, als nur noch Affären, Bankette und Orgien folgten, was hätte sie da Ihrer Meinung nach tun sollen?«
»Wer denn? Ich habe keine Ahnung, vom wem Sie reden …«
»Verdammt, ihr Männer tut immer so, als würdet ihr nichts begreifen. Was sollte sie denn machen? Ihn ebenfalls betrügen, die Scheidung verlangen? Nein, Lavinia suchte ihre Zuflucht hier in den Thermen. Sie verbrachte ganze Tage in der Grotte. Müde und enttäuscht lehnte sie sich an die mittlere Säule hier, und alles schien sich um sie zu drehen: das Wasser, der Dampf, die Stimmen und die Lichter. Sie dachte an den Ehemann, der sie vernachlässigte, an die Kinder, die sie nicht gebären konnte, an den Vater, der sie im Austausch für ein politisches Amt verschachert hatte, an die Mutter, die vor langer Zeit Selbstmord begangen hatte …«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich jetzt gern unter den Wasserfall gehen«, sage ich und will ihr die Seife zurückgeben.
»Nein, behalten Sie sie nur … Alle Frauen, die hier zu den heißen Quellen kamen, kannten sie …«
Und sie fährt fort, mir leise eine Geschichte zu erzählen, die so klingt, als wäre sie schon mindestens 2000 Jahre alt.
»Und sie wurde respektiert, schließlich war sie ja die Frau des Senators.«
»Welches Senators denn?«
Jemand hinter ihr tippt sich mit dem Finger an die Stirn, als wollte er mir sagen: »Die spinnt doch.«
»Eines Tages brach plötzlich das Unheil herein. Die Frau wurde immer seltsamer, der Ehemann war sie und ihr Schweigen, ihre in Einsamkeit verbrachten Tage leid. Die Leute tuschelten schon hinter seinem Rücken und machten sich lustig über ihn: Ob es wohl sein könnte, dass seine Frau im Wasser einen heimlichen Liebhaber versteckte … Der Senator schickte seine Schwester, um zu überprüfen, ob etwas dran war an diesen Gerüchten, aber Lavinia saß immer nur da, die Hand auf den Bauch gelegt. Sogar die Geliebten des Senators hatten sie in diesem Zustand gesehen. Der Senator hatte ja recht, sie zu betrügen,was sollte er denn mit so einer Ehefrau anfangen? Schließlich kam die Sache Cäsar zu Gehör …«
»Cäsar, also Julius Cäsar?«
»›Wohin führt wohl zu viel Seltsamkeit? Besser, man entledigt sich sofort einer solchen Frau, eine unfruchtbare Ehe dient weder dem Staat noch der eigenen Karriere.‹ So lautete Cäsars Befehl, er musste befolgt werden. Und der Senator sollte es selbst tun, um sich der Kurie und Cäsar gegenüber von der Schuld zu befreien. Dieser Mistkerl betrat also an einem Nachmittag wie diesem das von Frauen bevölkerte Bad.
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