Die italienischen Momente im Leben
Steuerbehörden aufgefallen. Nun kam ein »Bescheinigungshandel« von gigantischen Ausmaßen ans Licht. Natürlich waren alle Atteste von willigen Ärzten unterschrieben. Am Ende wurde auch gegen drei Kameraden – darunter Capoccia – wegen Begünstigung ermittelt.
Auf dem Heimweg in die Kaserne spukten mir wirre Gedanken durch den Kopf. Aber eines wusste ich genau: Ich wollte keinen Tag länger bei diesem Haufen von Vollidioten bleiben. Das Militärleben war nichts für mich. Mit den Stiefeln an den Füßen legte ich mich aufs Bett und versuchte, etwas zu lesen. Ich fühlte mich hundeelend und merkte, dass mein »Soldatenleben« gewaltig an meinen Nerven zehrte. Marschieren und ein Gewehr benutzen, marschieren und den Befehlen anderer gehorchen zu müssen, so hatte ich mir meine Zukunft gewiss nicht vorgestellt.
Noch in derselben Nacht beschloss ich, die »Glanzvorstellung« meines Lebens zu geben. Ich würde erst so tun, als ginge es mir nicht gut, um auf die Krankenstation zu gelangen und mich dort von einem Amtsarzt untersuchen zu lassen. Um als depressiv zu gelten, musste ich zunächst einen heftigen Nervenzusammenbruch vorspielen und daraufhin mit diesem allgemein bekannten Gesetzesparagrafen meine Entlassung bewirken.
Ich sprang also wie von einem plötzlichen Anfall geschüttelt von meinem Bett auf und verpasste dem armen Grenadier, der gerade vor unserem Schlafsaal Dienst hatte, ein paar Ohrfeigen. Die anderen machten sofort Meldung beim Oberst, der mit zwei weiteren Soldaten schleunigst herbeieilte. Ich schrie, trat um mich, fiel in Ohnmacht, rappelte mich wieder auf, zwölf Arme reichten nicht, um mich zu bändigen. Das Theater dauerte gut eine Stunde, dann wurde ich eingesperrt und unter die Aufsicht von zwei Wachen gestellt.
Am nächsten Tag musste ich nicht einmal in die Krankenstation, sondern wurde einfach so wegen »neurotischer Störungen und depressiver Krisen« entlassen.
Damit endete meine kurze militärische Erfahrung. Es waren drei ebenso sinnlose wie unglückliche Monate. Gehörte ich etwa nicht zur Achtundsechzigergeneration, die im Zeichen von »Make love not war« geboren wurde und von antiautoritärer Erziehung? Ich hatte also die besten Gründe, weder Militär- noch Zivildienst zu leisten. Zuvor hatte ich schließlich aus den gleichen Motiven die Prüfung als Kriegsdienstverweigerer abgelehnt, wie auch aus Respekt gegenüber den Menschen, mit denen ich hätte arbeiten sollen. Man kann über organisierten Freiwilligendienst streiten, manchmal ist er bestimmt akzeptabel, aber wenn er unter Zwang erbracht werden soll, ist das für mich ein Widerspruch in sich. Hätte man mich zu diesem Dienst gezwungen, hätte ich meine Arbeit nur widerwillig erledigt und somit wohl zwangsläufig hilfsbedürftige Menschen schlecht behandelt.
Kaum habe ich die Kaserne verlassen, renne ich als Erstes wie verrückt die Treppen zur Stadt hinunter. Treppen? Ja wirklich, denn die sind typisch für das Stadtbild von Potenza. Von der Piazza 18 Agosto stürme ich die Gradinata Medaglia d’Oro – die »Goldmedaillentreppe« hinab, der helle Stein gleißt in der Sonne, die Stufen sind so breit, dass ich sie mit langen freudigen Schritten hinablaufen kann. Dann weiter den Corso Garibaldi hinunter, den Viale Marconi bis zu den »100 Stufen«, die zum Busbahnhof führen. Ich bin unschlüssig. Soll ich nach Matera fahren und die berühmten uralten Höhlensiedlungen im Tuffstein besichtigen, wo Pasolini und Mel Gibson ihre Passionsfilme gedreht haben? Oder lieber nach Latronico und zu den alten Thermalquellen? Vielleicht besichtige ich auch Lagonegro, die Stadt der Mona Lisa. Ach was, ich steige einfach in den Autobus, der als erster abfährt. Während der nächsten dreißig Kilometer genieße ich die phantastische Aussicht auf die tyrrhenischeKüste, die wir entlangfahren, allerdings habe ich keine Ahnung, wohin mich der Bus bringt: eine ständige Abfolge von steilen Abhängen, mediterraner Macchia und bunten Stränden. An der Grenze zu Kalabrien heißt mich der Strand von Maratea in all seiner strahlenden Schönheit willkommen. Ich steige aus dem Bus und fühle mich endlich »frei«. Von dem kleinen Platz mit der Haltestelle führt ein Weg abwärts.
Daneben ein Schild: »Alter Schäferpfad«. In Erinnerung an den Capoccia kommt mir das wie eine Einladung vor, mich wieder ins normale Leben einzugliedern. Schafe vermitteln ja so ein Gefühl von Herde und Geborgenheit.
17.
RESCHENSEE | SÜDTIROL – FATA
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