Die italienischen Momente im Leben
Piazza Re Enzo der angolo dei cretini – was übersetzt wohl Idiotenwinkel heißt, ich habe keine Ahnung, woher dieser Name kommt –, um geröstete Maroni beim ältesten Kastanienröster der Stadt zu kaufen. Die Bezeichnung ist allseits bekannt und man verabredet sich dort: »Wo treffen wir uns?« – »Am angolo dei cretini. « Nur wenige Meter entfernt stehen die Wahrzeichen von Bologna, die beiden berühmten Geschlechtertürme, der Torre Garisenda und der noch höhere Torre degli Asinelli. Den zweiten kann man besteigen. Ungefähr 500 Stufen führen hinauf und es wird ziemlich anstrengend, das letzte Stück muss man eigentlich klettern, aber die Mühe lohnt sich bestimmt: Der Ausblick ist wirklich umwerfend, und an besonders klaren Tagen kann man sogar die Küste der Romagna sehen.
Um die beiden Türme herum breitet sich ein Labyrinth von Straßen und engen Gassen aus, einige davon führen ins jüdische Ghetto, wo man noch viele kleine Geschäfte mit traditionellem Kunsthandwerk findet. In unmittelbarer Nachbarschaft dazu liegt die Universität und die heute leider berüchtigte Piazza Verdi, weil sie zum Treffpunkt von Junkies und Dealern geworden ist und man noch keinen Sanierungsplan gefunden hat.
Doch der schönste Platz der Stadt ist zweifellos Piazza Maggiore, die als » Il Crescentone « bekannte Fußgängerzone ist voller Tauben, Kinder jagen hier hin und her, um die Vögel zu füttern oder aufzuscheuchen. Stopp! Ein Flashback, und ich sehe mich als kleinen Jungen, wie sich eine Taube auf meinen Kopf setzt und ... da heule ich auch schon los! O pardon, ich glaube, das habe ich Ihnen schon erzählt.
An der Piazza Maggiore liegt die Kirche des Schutzpatrons der Stadt, San Petronio. Ursprünglich sollte sie größer werden als der Petersdom in Rom, aber dann setzte man die Arbeitendaran aus, vermutlich, weil zu dieser Zeit keine Kirche den Petersdom übertreffen durfte.
Aber am besten – und am liebsten – erinnere ich mich natürlich an die Geschäfte und Osterien. Früher ging man gern »vor dem Stadttor« spazieren, das bedeutete in Bolognas unmittelbarer Umgebung. Am liebsten nach San Pietro, Serravalle, Savigno oder Sasso Marconi. Und dort auf den Hügeln oberhalb der Stadt konnte man sich genüsslich stärken wie zum Beispiel beim »Kirschenfest«, das in den Mai fiel. Da fanden Querfeldeinrennen statt oder das Schlagen nach den pigne , einer Art Piñata, und viele andere volkstümliche Wettbewerbe wie bei Spiel ohne Grenzen , und meist wurde das Ganze reihum von den Großbauern der Umgebung organisiert. Natürlich gab es auch guten Wein und die ersten Kirschen, die weich und gleichzeitig knackig waren, süß und ein wenig säuerlich. Damals schätzten sich Bologneser wie Signor Paolo schon glücklich, den Sommerurlaub im August an den Ufern des Santerno oder des Reno zu verbringen, wo man zu der Zeit noch baden konnte. Und ein Festmahl bestand aus einer Backform mit Maccheroni aus dem Ofen, einer zweiten mit Kartoffeln und gebratenem Hühnchen und als Dessert in Rum eingelegte Wassermelone. Unter der Woche beschränkte sich das Spazierengehen mit meiner Mutter und der Frau von Signor Paolo auf die Runden durch die Lebensmittelgeschäfte, wo wir tigelle , gefüllte Brotfladen, aßen und crescentini , eine Art in Schmalz ausgebackene Brotecken. Dazu gab es Wurst, Käse und in Öl eingelegte Gemüse oder Pesto Bolognese, eine kräftige Variante des ligurischen Gerichts mit Hackfleisch und Sahne... ich hätte dafür sterben können!
Leider haben nur wenige dieser Lebensmittelgeschäfte und Osterien überlebt, wie zum Beispiel die Trattoria da Valerio in der Via Avesella, eine kleine Osteria, die ursprünglich ein Lebensmittellager in einem alten Salzmagazin war.
Der alte Besitzer schneidet noch heute die Schinken mit einem langen Messer mit schmaler Klinge so virtuos auf, als würdeer Geige spielen. Das Lokal ist ein einladender und erfrischend familiär gebliebener Ort, an dem man alle Genüsse der üppigen Küche Bolognas probieren kann. Man beginnt mit einer Wurstplatte, zu der man am besten den wohlschmeckenden Hauswein trinkt, um dann zu den ausgezeichneten Nudeln mit oder ohne Füllung überzugehen: Tortellini, Tortelloni, Tagliatelle, garganelli und natürlich Lasagne, passatelli , alle nach traditionellen Rezepten zubereitet. Nicht fehlen darf natürlich das bollito misto , verschiedene Sorten gekochtes Fleisch, Kutteln, Leber nach venezianischer Art (auch wenn wir in Bologna sind) und
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