Die italienischen Momente im Leben
und erhalten einen ebenso schnellen Segen, das beflügelt unsere Schritte, und wir erreichen geschwind das eiserne Gipfelkreuz des Monte Cefalone.
Vielleicht liegt es ja an Attilios zahlreichen Rätseln oder an dieser faszinierenden Begegnung, auf jeden Fall ist die Zeit wie im Flug vergangen.
Nur noch ein paar Meter, und wir sind da. Die Aussicht von hier oben ist phantastisch: Vom nahen Intermesoli bis hin zum Corno Grande ist es ein großartiger Anblick, in der Ferne erkennt man hinter dem Campo Imperatore den Majella Nationalpark, auf der anderen Seite funkelt Richtung Nordwesten der Lago di Campotosto. Ein wahres Paradies! Und jetzt wage ich es, der ich die ganze Zeit immer noch über Attilios erstem Rätsel gegrübelt habe, noch eine Lösung zu nennen:
»Es gibt ganz sicher einen Punkt, an dem die drei zur selben Uhrzeit vorübergekommen sind, ganz egal, wann sie losgehen, Hauptsache, es ist vor vier Uhr nachmittags, und ganz egal, wie schnell sie sind. Ich muss mir nur zwei Personen vorstellen, dieam selben Tag diese Tour unternehmen, der eine läuft von oben nach unten und der andere genau entgegengesetzt ... also, irgendwo müssen die beiden sich über den Weg laufen. Und wenn der nach oben eben etwas langsamer ist, dann treffen sie sich eben weiter unten, aber sie begegnen sich auf jeden Fall.«
»Großartig, Bruno! Du bist ja ein echtes Mathematikgenie!«
26.
GENUA
1999
Genua, diese wunderschöne Stadt am Meer, die ihresgleichen auch in Italien sucht. Hafenstadt, Stadt der Seeleute. Stadt der Laster und Sünden. Der einsamen Männer auf der Suche nach ein wenig Gesellschaft. Heute genauso wie in der Vergangenheit, nur dass in früheren Zeiten das »älteste Gewerbe der Welt« nicht nur legal, sondern auch amtlich geregelt war. Hier entstand das hinter Toren verschlossene Rotlichtviertel, wo die »Damen« gegen regelmäßige Entrichtung von Steuern ihren Diensten nachgehen konnten, und zwar fünf Soldi am Tag, zahlbar an die Staatskasse (der Hafen wurde mit ihrem Geld erbaut). Genua, wunderbare, allzu menschliche Stadt mit ihren carrugi, den engen Gassen der Altstadt, dem Meer und dem reizvollen Hinterland, das man auf den Hügeln oberhalb des Zentrums entdecken kann.
Genua, kindgerechte Stadt, wo mit der Città dei bambini ein riesiges Spiel-, Wissenschafts- und Experimentiermuseum für Kinder und Jugendliche geschaffen wurde.
Nach einer längeren Zugfahrt quartieren wir uns in einer Pension ein, mit Joy, unserem Labrador. Das B&B ist reizend, jedes Zimmer ist in einer eigenen Farbe gehalten, und es liegt sehr zentral, Bahnhof und Altstadt sind praktisch um die Ecke. Und Joy wird schnell der Liebling des Hauses, obwohl sie es anfangs nicht lassen konnte, jeden Gast gnadenlos zu verbellen.
Der Stadtrundgang beginnt am Morgen in der Via Prè, Genuas Bazar mit Gerüchen und Farben, die uns in wenigen Augenblicken in jeden Winkel der Welt entführen, auf der Piazza Cavour hören wir schon von Weitem das Geschrei der Fischverkäuferinnen, die ihre Waren anpreisen. Vielleicht begegne ich ja hier dem Mädchen mit den großen Augen aus dem Song des großartigen Liedermachers Fabrizio De André, den ich als Jugendlicher immer gehört habe. Ein Vers von ihm hat sich mir eingeprägt: » Dai diamanti non nasce niente, dal letame nascono i fiori « – »Auf Diamanten wächst gar nichts, aber auf Mist wachsen Blumen.«
Wir laufen weiter. Genua ist eine Stadt mit engen, verwinkelten Gassen, ständig geht es auf und ab, es macht Spaß, sich im Labyrinth der Altstadt zu verlieren. Und in jeder steil ansteigenden oder abfallenden Gasse, hinter jeder Straßenbiegung entdeckt man Neues, und das Licht verändert sich ständig in diesen handtuchbreiten Sträßlein, in denen sich die einander gegenüberliegenden Häuser fast zu berühren scheinen.
Auf der Via Gramsci, auch hier gibt es einen Markt, der stark an einen orientalischen Bazar erinnert, begegnet man afrikanischen Frauen in ihren farbenprächtigen Kleidern, gleich darauf Frauen, die Burka tragen, oder Frauen aus Osteuropa und südamerikanischen Transsexuellen. »Warum ist es nicht mehr so wie früher?«, hört man immer wieder die alten Genueser jammern. Dabei ist ihnen wohl kaum bewusst, dass der historische Stadtkern schon tausend Jahre auf dem Buckel hat und bestimmt noch ein weiteres Jahrtausend überdauern wird und wie klein sich ihr Leben daneben ausnimmt.
Langsam durchstreifen wir die Gassen bis zum Meer und landen schließlich im Porto Antico ,
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