Die Jaeger der Nacht
könnte ich mir das Nötigste auch selbst zusammenrühren. Drei Blätter Aluminiumfolie, aufgelöst in Pferdeshampoo mit einer großzügigen Prise Backpulver, verbinden sich binnen zwei Wochen zu einem brauchbaren Deodorant. Das Problem ist nur, dass ich diese Zutaten nicht zur Hand habe. Und auch keine zwei Wochen Zeit.
Das Pochen an der Tür wird lauter und beharrlicher. Ich tue das Einzige, was mir übrig bleibt: Ich schnappe mir ein Taschenmesser und kratze über mein Kinn, sorgfältig darauf bedacht, keine Haut abzuschürfen. Das wäre ein verhängnisvoller Fehler. Dann setze ich die Mondbrille auf und gehe zur Tür. Gerade noch rechtzeitig halte ich inne. Meine Kleider! Sie sind verknittert, weil ich darin geschlafen habe, ein verräterisches Anzeichen dafür, dass ich nicht die Schlafhalter benutzt habe. Ich renne zum Kleiderschrank und streife hastig ein neues Outfit über.
Mein Begleiter vor der Tür ist nicht erfreut. »Ich klopfe schon seit fünf Minuten. Was ist los mit dir?«
»Tut mir leid, hab verpennt. Die Schlafhalter waren so bequem.«
Er dreht sich um und marschiert los. »Komm jetzt. Die erste Unterrichtsstunde fängt gleich an. Wir müssen uns beeilen.« Er dreht sich noch einmal zu mir um. »Und nimm die Mondbrille ab, es ist bewölkt.«
Ich ignoriere ihn.
Der Direktor des Hepra-Instituts ist so steril und trocken wie die Umgebung, und das sagt eine Menge. Sein Gesicht glänzt wie Plastik und er steht gern im Dunkeln. Er strahlt eine strenge Autorität aus, ebenso leise wie tödlich. Mit seinen wohlgesetzten, rasiermesserscharfen und schneidenden Worten könnte er eine Ratte zu Tode flüstern.
»Hepra sind langsam, Hepra halten gern Händchen, Hepra trällern gern, Hepra trinken Unmengen von Wasser. Sie verfügen über eine gewaltige Bandbreite unwillkürlicher Grimassen, sie schlafen nachts, sie sind übernatürlich unempfindlich gegen Sonnenlicht. Das sind die grundlegenden Fakten.« Der Direktor spricht mit routiniertem Schwung. In einer dunklen Ecke macht er eine dramatische Pause, das weiße Leuchten seiner Augen verschwindet und taucht wieder auf, als er sie öffnet. »Nach Jahrzehnten intensiven Studiums wissen wir erheblich mehr über sie. Viele dieser Informationen sind nur einigen wenigen von uns hier am Hepra-Institut für fortgeschrittene Forschung und Entdeckung bekannt. Weil ihr in vier Nächten auf Hepra-Jagd gehen werdet, wurde beschlossen, dass auch ihr in die neuesten Forschungsergebnisse eingeweiht werden sollt. Ihr werdet alles über Hepra erfahren, was wir wissen. Aber zuerst die Unterlassungserklärungen.«
Wir unterschreiben natürlich alle. Die Dokumente werden uns von Offiziellen in grauen Anzügen überreicht, die aus der Dunkelheit hinter uns treten. Keine der in den kommenden Wochen erhaltenen Informationen darf nach der Jagd ohne die ausdrückliche Genehmigung des Hepra-Instituts verbreitet werden . Ich setze mein Kennungszeichen neben den Paragrafen. Auch der Verkauf der eigenen Geschichte zur Veröffentlichung oder einer Option für eine Bühnenbearbeitung besagter Geschichte ist ohne die ausdrückliche Erlaubnis des Hepra-Instituts verboten . Ich setze mein Zeichen daneben. Die Zustimmung ist umfassend und unwiderruflich . Ich setze mein Zeichen daneben. Zuwiderhandlung wird mit dem Tod bestraft . Ich datiere und unterschreibe das Dokument.
Der Direktor beobachtet jeden von uns eingehend, während wir die Papiere unterzeichnen. Seine Augen sind schwarze Löcher, die alles mit einer gerissenen, wachen Schärfe aufsaugen. Ihm entgeht nichts, er verschätzt sich nie. Als ich die Unterlassungserklärung abgebe, spüre ich, wie er mich mit einem Blick von oben herab fixiert. Er registriert das Zittern der Papiere. Das merke ich, ohne hinzusehen, an dem kalten Brennen auf meinem Handgelenk, an dem sein Blick haftet. Ich fasse die Formulare fester. Dann spüre ich, wie sein Blick weiterwandert und das Brennen verdampft. Er hat sich dem nächsten Jäger zugewandt.
Nachdem alle Unterlagen eingesammelt sind, fährt er ohne jedes Zögern fort. »Vieles von dem, was über Hepra bekannt ist, gehört eher ins Reich der Erfindungen als in die Welt der Tatsachen. Zeit, diese Mythen zu entlarven.
Mythos Nummer eins: Sie sind in ihrem tiefsten Wesen wilde Tiere, die bei Gelegenheit immer die Flucht ergreifen werden. Tatsache: Sie sind leicht zu zähmen und fürchten sich eigentlich eher vor dem Unbekannten. Während wir tagsüber schlafen, wird die Kuppel sogar
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